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Anti-Eis

Anti-Eis

Titel: Anti-Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
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Raketen
solcherart nicht nur die Masse des Schiffes in der Luft
stabilisierten, sondern auch eine beträchtliche
Querbeschleunigung erzielen konnten.
    Und so rasten wir gen Süden.
    Ich hatte das Gesicht an die Scheiben gedrückt. In einer
solchen Höhe nimmt das Land, sofern es nicht von Wolken
verhangen ist, das Aussehen einer Spielzeuglandschaft mit fein
detaillierten Häusern, Bäumen und glitzernden Flüssen
an. Es war direkt ein Schock, als wir plötzlich über dem
waffengrauen Wasser des Kanals dahinflogen!
    Nach vielleicht einer Stunde erreichten wir die französische
Küste. Eine Hafenstadt breitete sich wie ein Diagramm unter uns
aus, und Traveller glich den Blick durch das Periskop mit dem Inhalt
einer auf seiner Brust ausgefalteten Karte ab. Dann nickte er
zufrieden. »Wir haben Le Havre erreicht. Jetzt ist es nur noch
ein Katzensprung bis Paris!«
    Ich stellte mir vor, wie die braven Fischer dort unten zu uns
hochschauten und sich über das brüllende, feuerspeiende
Monster wunderten, das an ihrem Himmel seine Bahn zog.
    Wir orientierten uns nun an der Seine; wir folgten ihrem silbernen
Lauf flußaufwärts durch die Normandie. Rauch stieg
spiralförmig aus verstreuten Hütten und Bauernhäusern
auf und driftete unter dem Einfluß der vorherrschenden Winde
wie Federn nach Osten. Aus dieser göttergleichen Perspektive
waren keine Anzeichen des Krieges zu erkennen.
    Schließlich standen wir hoch über Rouen – die
alten Straßen wirkten wie ein Kinderlabyrinth –, und ich
erinnerte mich, daß es an diesem Ort gewesen war, wo wir
Engländer die Jungfrau von Orleans auf dem Scheiterhaufen
verbrannt hatten. Ich fragte mich, was diese tapfere Kämpferin
wohl beim Anblick unseres großen, aus Aluminium bestehenden
Luftschiffes empfunden hätte. Wäre es ihr wie eine erneute
Vision des Herrn vorgekommen?
    Schließlich, gegen zwei Uhr nachmittags, erreichten wir die
Außenbezirke von Paris.
    Aus der Luft erscheint Paris als annäherndes Oval, das von
der Seine in Ost-West-Richtung säuberlich durchschnitten wird.
Durch das Periskop konnten wir deutlich die im Herzen der Stadt
liegenden Inseln erkennen, und wir studierten das elegante Dach der
Kathedrale von Notre Dame – bis jetzt von der preußischen
Artillerie verschont, welche die Stadt im Würgegriff hatte.
Direkt im Norden der Seine konnten wir die Rue de Rivoli ausmachen,
die parallel zum Fluß verläuft. Ich folgte dem Verlauf der
Straße nach Westen, stieß auf die Champs Elysées
und hielt bei umgestürzten Bäumen inne, die wie
heruntergefallene Streichhölzer auf der Straße verstreut
waren. Ich fragte mich, ob sie von der deutschen Artillerie
gefällt worden waren, aber Traveller meinte, daß die
prächtige Allee abgeholzt würde, um Brennholz für die
Bewohner der belagerten Stadt zu liefern.
    Um die graubraune Masse der Stadt zogen sich die Befestigungen der
Hauptverteidigungslinie: Wir entdeckten einen zwanzig Meilen langen
Wall vom Bois de Boulogne im Westen bis zum Bois de Vincennes im
Osten. Und, in der Landschaft jenseits der Wälle, konnten wir
deutlich die Stellungen der preußischen Belagerungsarmeen
erkennen. Offizierszelte waren wie Taschentücher in den
Wäldern und Feldern verstreut; und – als wir etwas tiefer
gingen – konnten wir die Gruben ausmachen, in denen die
Geschütze standen – Hunderte von ihnen, deren todbringende
Mündungen auf die unglücklichen Bürger von Paris
gerichtet waren. Und wir konnten sogar die rot, blau und silbern
glänzenden Uniformen der preußischen Soldaten
erspähen.
    Während ich auf die staunenden, nach oben gewandten Gesichter
dieser deutschen Eroberer hinabschaute, überlegte ich, wie
einfach es doch für mich wäre, sagen wir, einen
Dewar-Behälter mit Anti-Eis auf sie abzuwerfen – mit
verheerenden Folgen. Die Preußen hätten dem nichts
entgegenzusetzen; wir könnten uns leicht außerhalb der
Reichweite ihrer Geschütze halten, selbst wenn sie zur
Luftzielbekämpfung geeignet waren.
    Mir schauderte, und ich fragte mich, ob ich eben die Vision eines
zukünftigen Krieges gehabt hatte.
    Jetzt sahen wir fasziniert, wie sich aus der braunen Masse der
Stadt die pralle, runde Form eines Heißluftballons erhob. Die
Zeitungen von Manchester waren voll von Berichten über die
tapferen Versuche der Pariser, mittels solcher Fahrzeuge mit dem Rest
Frankreichs Kontakt aufzunehmen, und über den noch
verzweifelteren Einsatz von Brieftauben; aber nichtsdestoweniger war
der unmittelbare Anblick sehr

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