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Anti-Eis

Anti-Eis

Titel: Anti-Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
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und drehte den Kopf wieder zur Wand; als er erneut
zu sprechen begann, klang die Stimme dumpf. »Seit der Ingenieur
ihm untersagt hatte, mich in meinem geschwächten Zustand zu
erdrosseln, ist Monsieur Holden entschlossen, mich verhungern zu
lassen; oder vielleicht will er mich auch wie ein Blatt im Herbst
vertrocknen lassen.«
    »Was soll das bedeuten?« Ich wandte mich zu dem
Kammerdiener um, der die ganze Zeit ein Auge auf uns gehabt hatte.
»Pocket. Ist das wahr?«
    Pocket nickte und faßte sich an seine schmale Nase. »Er
war schon halbverhungert nach den vielen Tagen auf der Brücke
ohne Essen und Wasser, Sir. Aber ich lasse niemanden verhungern; ich
füttere ihn mit Resten, wenn niemand hinsieht.«
    Ich verspürte eine große Erleichterung, daß
Holdens Grausamkeit konterkariert worden war. »Gut gemacht,
Pocket; du hast richtig gehandelt. Was hat Sir Josiah denn dazu
gesagt?«
    Pocket hob die Schultern. »Als er Mr. Holden besänftigt
hatte, an dem Tag, als Ihr Eure große Tat vollbrachtet –
nun, Sir, Ihr kennt ja Sir Josiah. Ich glaube, er hat diesen
Franzmann schon ganz vergessen; er ist ja seitdem kaum noch hier
unten gewesen.«
    Ich lächelte. »Das kann ich mir gut
vorstellen.«
    »Ich habe nicht um die Mildtätigkeit eines Dieners
gebeten«, sagte Bourne kalt.
    »Du empfängst auch gar keine Mildtätigkeit,
Bursche«, sagte Pocket. »Aber wenn du glaubst, ich
verbringe meine letzten Tage in einer Blechbüchse zusammen mit
der Leiche eines Franzmannes, dann bist du schief gewickelt.« Er
sprach mit strenger Stimme, jedoch eher in der Art eines Vaters, der
sein Kind zurechtweist; und ich erkannte, daß der Charakter
dieses Mannes frei von jeder Bösartigkeit war.
    Erneut wandte ich mich dem Franzosen zu. »Warum,
Bourne?«
    Er drehte den Kopf, wobei sich das Gesicht durch diese Bewegung
verzerrte. »Warum was?«
    »Warum habt Ihr dieses Schiff entführt und so viel
Schaden und Leid verursacht?«
    Ohne eine Antwort wandte er den Kopf ab.
    Mit einer Kraft, die mich selbst überraschte, packte ich ihn
an der Schulter und riß ihn herum. »Ich glaube, Ihr
schuldet mir eine Antwort«, zischte ich.
    »Es gibt nichts zu sagen. Ihr Briten würdet es ja doch
nicht verstehen.«
    Ich preßte die Lippen zusammen und unterdrückte meinen
Zorn. »Sagt es mir trotzdem.«
    »Wegen der Trikolore«, sagte er heftig. »Die
Trikolore!«
    Er entwand sich meinem Griff und weigerte sich trotz heftigen
Drängens, noch etwas zu sagen.
     
    Zu meinem Entsetzen bemerkte ich, daß Bourne mit Ledergurten
und Stücken des Luftschlauches gefesselt war; auf mein
Drängen – und unter dem Vorbehalt, daß er seine
Pritsche nicht verließ – wurde er am nächsten Tag
befreit; er setzte sich zaghaft auf und rieb sich die blau
angelaufenen Handgelenke und Knöchel.
    Ich fühlte mich nun wieder kräftiger und kletterte mit
Holden durch das Deckenluk.
    Als ich mir vor einigen Tagen Zutritt zur Brücke erzwungen
hatte, waren meine Eindrücke nur verschwommen und
bruchstückhaft gewesen, als ob ich einen Alptraum erlebt
hätte. Nun sah ich indessen, daß der Kommandostand ein Ort
der mechanischen Wunder war. Geräte surrten und klickten
unaufhörlich, so daß der Eindruck aufkam, man befände
sich in einem veritablen künstlichen Gehirn, das Handlungen an
Bord des Schiffes ausführte; und über den ganzen Platz
wölbte sich die gläserne Kuppel der Phaeton. Diese
Kuppel ließ nun die silberne Lichtflut des Mondes durch, der
groß – unglaublich groß – über dem Schiff
hing.
    »Ah, Wickers!« Dröhnend erklang die Stimme irgendwo
über mir; ich drehte mich um und machte im Schatten des grellen
Mondlichts die Silhouette eines Thrones aus, der an der Wandung der
Kammer montiert war. Der dick gepolsterte, mit Damast bezogene und
mit Samtbordüren verzierte Sessel hing über der Brücke
wie der Thron eines Cäsaren. Traveller lehnte sich in diesem
Thron zurück; er hatte die Füße hochgelegt, locker
einen Hüftgurt angelegt und hätte jetzt nur noch einer
Sklavin bedurft, die ihm Trauben in den Mund steckte, um das Bild
eines lasziven Potentaten zu vervollständigen. »Ein etwas
bequemerer Zugang zur Brücke als beim letztenmal, was?«
    »In der Tat.«
    Ich stieß mich vom Deck ab und schwebte in die gläserne
Kuppel empor, ergriff eine weiß gestrichene Verstrebung und
machte es mir dort bequem. Holden hielt sich in der Nähe des
Decks auf, inmitten der Ansammlung von Instrumenten. Von meinem neuen
Ausguck sah ich, daß Travellers Sitz auf

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