Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
sich nie ganz unterdrücken. Letztlich sei eine Psychoanalyse nicht zum Abschluss zu bringen: »Es ist wahrscheinlich zur Vermeidung von Mißverständnis nicht unnötig, näher auszuführen, was mit der Wortfügung: dauernde Erledigung eines Triebanspruchs gemeint ist. Gewiß nicht, daß man ihn zum Verschwinden bringt, so daß er nie wieder etwas von sich hören läßt. Das ist im allgemeinen unmöglich, wäre auch gar nicht wünschenswert [ sic ].« (ebd., S. 68 f). Und warum nicht?
Weil der Meister sagt, er müsse mit dem Leiden leben, müsse der Patient dies lernen. Der negative Trieb würde »ganz in die Harmonie des Ichs aufgenommen« (ebd., S. 69). In anderen Worten: Es gilt, das Leid zu ertragen und damit zu leben. Hier erschließt sich die Verwandtschaft von Psychoanalyse und Autosuggestion.
Freud hatte vorgesorgt: Damit die Analyse funktionierte, hieß es, zu schwere oder unpassende Krankheiten zu meiden. Er suchte sich geeignete, vorzugsweise gebildete und wohlhabende Patienten, schloss die Armen prinzipiell aus, wählte Klienten, die den Erfolg der Therapie nicht durch eine übermäßige Liebe zu ihrem Leiden gefährdeten, und machte deutlich, dass eine Analyse von Natur aus ohne Abschluss blieb und der Patient sich letztlich mit seinen Beschwerden abfinden müsse. Waren derlei Umwege wirklich nötig, um zu einem solch armseligen Schluss zu kommen?
IV.
Auf dem Papier werden viele geheilt
»Es ist unbestreitbar, daß die Analytiker in ihrer
eigenen Persönlichkeit nicht durchwegs das Maß von
psychischer Normalität erreicht haben,
zu dem sie ihre Patienten erziehen wollen.«
Sigmund Freud, Die endliche und die
unendliche Analyse (Bd. XVI, S. 93)
»Vielleicht ist es übrigens eine Folge meiner Beschäftigung mit der Psychoanalyse, daß ich kaum [ sic ] mehr lügen kann.«
Sigmund Freud, Zur Psychopathologie des Alltagslebens (Bd. IV, S. 247)
»Die Mohren stammen aus einem alten, bei uns verbreiteten Scherz, der die psychoanalytische Kur eine ›Mohrenwäsche‹ heißt. Nicht ganz mit Unrecht, wenn wir uns einmal über das in der inneren Medizin anerkannte Niveau erheben. Ich tröste mich oft mit der Idee, wenn wir therapeutisch so wenig leisten, so erfahren wir wenigstens, warum nicht mehr geleistet werden kann.«
Sigmund Freud, Brief an Ludwig Binswanger, 28. Mai 1911 (Freud/Binswanger, Briefwechsel, S. 81)
Am Ende seiner Analysen behauptete Freud stets, sie seien erfolgreich gewesen. Über Anna O. schrieb er 1892 in Studien über Hysterie: »Die wunderbare Tatsache [ sic ], daß vom Beginne bis zum Abschlusse der Erkrankung alle aus dem zweiten Zustande stammenden Reize und ihre Folgen durch das Aussprechen in
der Hypnose dauernd beseitigt werden, habe ich bereits geschildert« (Freud/Breuer, Studien über Hysterie, S. 40). Und wenige Zeilen später freute er sich klar und deutlich über »die schließliche Abheilung der Hysterie« (ebd.). Über den Fall Dora urteilte er, die Patientin habe ihre Probleme in den Griff bekommen und ihre Freude am »Leben wiedergewonnen« ( Bruchstück einer Hysterie-Analyse, Bd. V, S. 286). Der Kleine Hans sei einer »zur Heilung führenden Analyse« ( Analyse der Phobie eines fünfjährigen Knaben, Bd. VII, S. 377) unterzogen worden. Auch der Rattenmann sei geheilt, denn Freud erläuterte 1909, was »bei weiterem Bestande der Krankheit« ( Bemerkungen über einen Fall von Zwangsneurose, Bd. VII, S. 463) geschehen wäre. Und auch am Geschick des Wolfsmannes ließen die letzten Zeilen von Aus der Geschichte einer infantilen Neurose keinen Zweifel. Er habe ihn kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs geheilt, wobei »ein noch nicht überwundenes Stück der Übertragung« (Bd. XII, S. 157) übrig geblieben sei – jedoch nicht, weil die Kur wirkungslos war, denn diese habe ja geheilt, was sie geheilt habe (!), sondern weil sie eben nicht alles geheilt habe! Bis auf dieses kleine Detail sei der Patient also gesund, was Freud mit dem Wort »Herstellung« (ebd.) beschrieb.
Und doch sagte Sergej Pankejeff 1974 in Gespräche mit dem Wolfsmann der Journalistin, die die Unterhaltung mit ihm führte, unverblümt: »Wissen Sie, mir geht es so schlecht, ich habe in der letzten Zeit immer solche schrecklichen Depressionen« (Obholzer, Gespräche mit dem Wolfsmann, S. 37). Freuds berühmtester Fall war zu diesem Zeitpunkt siebenundachtzig Jahre alt und angeblich seit sechzig Jahren geheilt. Doch das galt nur auf dem Papier. Tatsächlich unterzog er sich
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