Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
S. 193) zukommen lassen. Welch grandioses politisches Programm: wenig Geld und viel Hypnose! Hier sind wir wirklich ganz weit entfernt von Freuds Praxis in einer schönen Gegend Wiens und von den exorbitanten Honoraren, die er einstrich. Freud als liberaler
Bürger, der zeitlebens ein Herz für die Linke hatte? Auch diese Ansichtskarte können wir getrost zerreißen.
Wie wir gesehen haben, ging Freud mit dem Thema Geld ausgesprochen scheinheilig um. Fragen wir doch einmal ganz direkt: Wie viel kostete eine Psychoanalyse in seiner Praxis? Er selbst befasste sich, wie es aussieht, nicht mit derlei Trivialitäten. Man kann in seinem Werk noch so viel über seine Theorien zum Thema Geld oder Gold lesen und findet doch nichts, was diese Frage beantworten würde. Jung erzählte, eine Sitzung in der Berggasse 19 sei sehr teuer gewesen. Gewiss, aber wie teuer war sie genau?
Bei der Vorbereitung dieses Buchs habe ich fast 10 000 Seiten gelesen und kaum etwas zu diesem Thema gefunden. Entweder wird es verschämt umgangen, oder – was genauso wirkungsvoll und noch scheinheiliger ist – es werden Beträge in Dollar oder österreichischen Schilling genannt, und zwar in vor dem Krieg gültigen Währungen oder in später ungültig gewordenen Nachkriegswährungen, sodass der Leser nur scheinbar informiert wird und in Wahrheit doch nichts weiß. So erfahren wir aus Peter Gays knapp tausendseitiger Biographie nur, dass Freud mit seiner Arbeit seinen Lebensunterhalt gut bestreiten konnte und erst 20 und später 25 Dollar pro Sitzung verdiente; außerdem benötigte er stets Devisen. Doch was heißt gut bestreiten?
An anderer Stelle erläutert das an Details reiche, dicke Buch, der Krieg habe ihn 40 000 Kronen gekostet; er habe zwischen 1914 und 1918 über 100 000 Kronen angespart und habe ein Devisenkonto in Den Haag gehabt. 1925 habe er 25 Dollar für eine Sitzung verlangt und bei seinem Aufbruch ins Exil habe er seinen Schwestern 60 000 Schillinge hinterlassen. Arm war er also nicht. Natürlich rechnet Gay die Beträge nicht in zeitgenössische Währung um, sodass man nur vage erfährt, dass Freud ein gutes Auskommen hatte.
Ich habe deshalb mithilfe eines befreundeten Buchhalters selbst recherchiert, um alles in aktuelle Euro-Beträge umrechnen zu
können. Meine Nachforschungen ergaben, dass Freud im Jahr 1925 ungefähr 415 Euro pro Sitzung verlangte (auch für jene Sitzungen, während derer er schlie f). Vor dem Ersten Weltkrieg hatte er ungefähr 8 Millionen Euro angespart und durch den Krieg muss er etwa 3 250 000 Euro verloren haben. Seinen Schwestern, die nach der Deportation umkamen, hatte er 350 000 Euro hinterlassen. So hat man schon etwas mehr Klarheit.
In Zur Einleitung der Behandlung erklärte Freud, er habe seinen Sitz hinter die Couch gestellt, um den Blick der Patienten – also der Klienten – nicht ertragen zu müssen: »Ich vertrage es nicht, acht Stunden täglich (oder länger) von anderen angestarrt zu werden.« (Bd. VIII, S. 467) Daraus können wir schließen, dass Freud an einem Tag mindestens acht Patienten hatte. 1921 sprach er von zehn. Eine konservative Hochrechnung ergibt einen Betrag von 3300 Euro, der allabendlich in Freuds Kasse klingelte. 1913 schlug Freud seinen Patienten in Zur Einleitung der Behandlung »täglich« (ebd., S. 459) eine Sitzung vor, und drei pro Woche für weniger schwere Fälle. So ergibt sich jede Woche eine Summe von 80 000 Euro. Multiplizieren wir das mit zwölf Monaten können wir davon ausgehen, dass ihm seine Couch jährlich 875 000 Euro einbrachte.
Vor diesem Hintergrund ist verständlich, dass in Freuds Theorie eine Gratisbehandlung als für den optimalen Verlauf der Kur gefährlich gedeutet wurde, dass eine Therapie wegen des Krankheitsgewinns nicht im Interesse der Armen war, dass Sitzungen in kurzem Abstand und über einen langen Zeitraum hinweg stattfinden mussten und dass die Neigung der Amerikaner zu schneller Heilung Probleme verursachen konnte … nämlich Probleme mit Freuds eigener Theorie!
Gleichermaßen wird nun verständlich, wieso nur der Psychoanalytiker den optimalen Zeitpunkt für das Ende der Behandlung bestimmen konnte. Und welcher Zeitpunkt war geeignet? In Die endliche und die unendliche Analyse befand Freud feinfühlig, dies bliebe »dem Takt überlassen« (Bd. XVI, S. 62). 1937
fügte er hinzu, eine Analyse sei nie zu Ende! Natürlich sollte die Analyse auf das Verschwinden der Symptome zielen, doch triebbedingte Wünsche ließen
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