Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
auf dem zweiten Bild zwischen Daumen und Zeigefinger des Gauklers sehen, der dem Publikum ein dem Hütchenspiel vergleichbares Glücksspiel präsentiert. Die Becher auf dem Tisch bezeugen, dass er den Stein durch geschickte Handgriffe und begleitet von hypnotischem Gerede gleich verschwinden und wieder auftauchen lassen wird, und zwar wann und wo er will. Zuvor hat er Geld von den Zuschauern eingesammelt, denn so verdient er seinen Lebensunterhalt. Nebenbei bemerkt werden die Betrogenen zweimal bestohlen: einmal vom Gaukler, der die Wettbeträge einstreicht, und ein zweites Mal vom Taschendieb, dem sogenannten Beutelschneider, der wahrscheinlich ein Komplize des Gauklers ist und vom hypnotisierten Zustand der Schaulustigen profitiert.
Der Placeboeffekt bildet die Grundlage aller vorwissenschaftlichen Medizin. Er ist gewissermaßen das einzig Wissenschaftliche an dieser Medizin und ergibt sich aus deren Inszenierung, aus Verbalsuggestion, Beschwörung, Zauberei, der heilenden Kraft der Worte, Gesten oder Riten. Zweifelsohne glaubt der
Chirurg mit dem Trichter auf dem Kopf – Bosch machte aus seiner Meinung keinen Hehl – an die Kraft seiner Handlung, die mit den äußeren Zeichen der Wissenschaftlichkeit ausstaffiert ist. Der Scharlatan bedient sich wissenschaftlicher Techniken, Worte und Instrumente (hier das Metallteil, das einem echten chirurgischen Werkzeug nachempfunden ist). Als guter Hochstapler hat er wahrscheinlich erzählt, dass er heilen könne und das Nötige tun werde, und wird dann wohl die Heilung verkünden. Der begeisterte Patient wird sich für geheilt halten. Bedeutet dies, dass der Scharlatan oder der Gaukler tatsächlich über besondere Fähigkeiten verfügen? Sicher nicht. Der Glaube des Patienten genügt. Solcherlei Medizin basiert auf der psychosomatischen Selbstmedikation und ist außerordentlich erfolgreich.
Um die Logik des magischen Denken hinter den auf dem Wort basierenden Therapien zu verstehen, bietet sich ein Umweg über Marcel Mauss an. Freud kannte dessen Analysen, und tatsächlich ähneln viele für die Psychoanalyse konstitutiven Theorieelemente den Bausteinen des magischen Denkens des französischen Anthropologen. In Totem und Tabu zitierte Freud die Theorie der Magie. Was erfahren wir in Mauss’ Text? Dass der Zauberer jemand sei, der magische Handlungen vollführe. Aber was ist eine magische Handlung? Was von Dritten als solche erkannt werde. Und weiter? Dass der Zauberer formalisiert vorgehe. Um es mit dem Vokabular des Linguisten Austin auszudrücken: Er agiert performativ. Er schafft, indem er ausspricht, er lässt aus Worten eine Welt entstehen und kreiert, was er bezeichnet. »[D]as Wort war doch ursprünglich ein Zauber, ein magischer Akt, und es hat noch viel von seiner alten Kraft bewahrt.« ( Die Frage der Laienanalyse, Bd. XIV, S. 214) Und inszeniert nicht der Psychoanalytiker sein Schweigen als eine Art schmückenden Rahmen seiner Worte, die umso heilsamer sind, je seltener er sie gebraucht?
Wie aber wird man Zauberer? Nach Mauss durch eine Offenbarung, Weihe oder Tradition. Bei Freud finden wir die Offenbarung des Ödipuskomplexes und seiner urgeschichtlichen Entstehung,
zu der er im Rahmen einer Selbstanalyse gelangte. Die Weihe ließ Freud durch ihn ausgebildeten Kollegen zuteil werden, ganz nach der Logik der Kooptation des Schülers durch den Lehrer. Und die Tradition erfüllte sich, als Vater Sigmund seine Tochter Anna ausbildete, die wiederum ihre Geliebte Dorothy einwies, welche ihrerseits Schüler ausbildete, und so weiter.
Zu den Ritualen des Zauberers gehören die feste wöchentliche Uhrzeit, die Couch, das Schweigen des Analytikers und das ungebremste Sprechen des Patienten sowie die Synthese durch den Psychoanalytiker, nachdem dieser den richtigen Zeitpunkt zum Abschluss der Zauberveranstaltung bestimmt hat. Mauss zufolge sind für das Gelingen der Zauberei »bestimmte geistige Einstellungen erforderlich, man muß den Glauben haben« (Mauss, Entwurf einer allgemeinen Theorie der Magie, S. 82). In Die Frage der Laienanalyse betonte auch Freud, es sei wichtig, dass der Patient »dem Analytiker Glauben schenk[e]« (Bd. XIV, S. 256).
Die magische Kausalität markiert das Register des Primitiven, Unwissenschaftlichen. In Entwurf einer allgemeinen Theorie der Magie ist zu lesen: »Fügen wir hinzu, daß die Magie die Aufgabe der Wissenschaft erfüllt und Platzhalter der entstehenden Wissenschaften ist.« (S. 97) Und weiter: »[D]ie Magier [sind]
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