Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
Tradition magischer Therapien und ritueller Heilbehandlungen. Er stammte in direkter Linie von den Schamanen der Vorzeit ab. Seine Thaumaturgie war im Kern so alt wie die Welt und nur der Form nach neu; sie bediente sich zeitgenössischer szientifischer Codices, psychiatrischer Fachbegriffe, anatomischer oder physiologischer Erkenntnisse, biographischer Ereignisse sowie des historischen und biographischen Kontexts. Freuds Psychoanalyse war ein Wiener
Schamanentum, das sich in der Epoche von Kaiserin Sisi und Ludwig II. von Bayern entfaltete.
Freud hat also die Psychoanalyse als Sache nicht erfunden, aber er ist auch nicht der Erfinder des Begriffs. Und dieser Aspekt ist wenig bekannt. Viele Wörterbücher und Lexika verzeichnen ihn als Erfinder des Wortes wie der Sache, als basiere die Arbeit des Wiener Arztes nicht auf der Arbeit anderer, die er sich zunutze machte, bevor ihm sein philosophischer Staatsstreich gelang und man seinen Namen für immer mit der Lehre verband, die er als einsames Genie erfunden haben wollte.
Tatsächlich benutzte Freud zunächst den Begriff Psycho-Analyse, und zwar erstmals in L’Hérédité et l’Étiologie des Névroses, einem auf Französisch verfassten Artikel für die Revue neurologique vom 30. März 1896. Damals nannte Freud Breuer als Urheber des Begriffs Psycho-Analyse (Bd. I, S. 416). Es handele sich dabei um eine neue Methode der psychologischen Analyse, die wirksamer als etwa Janets Vorgehensweise zum Unbewussten des Patienten vordringe.
Auch 1910 schrieb Freud die Psychoanalyse noch Breuer zu. »Wenn es ein Verdienst ist, die Psychoanalyse ins Leben gerufen zu haben, so ist es nicht mein Verdienst. Ich bin an den ersten Anfängen derselben nicht beteiligt gewesen. Ich war Student und mit der Ablegung meiner letzten Prüfungen beschäftigt, als ein anderer Wiener Arzt, Dr. Josef Breuer, dieses Verfahren zuerst an einem hysterisch erkrankten Mädchen anwendete« ( Über Psychoanalyse, Bd. VIII, S. 3). Noch im Alter von vierundfünfzig Jahren bekannte Freud also öffentlich, nicht der Erfinder der Psychoanalyse zu sein. »Je dois mes résultats à l’emploi d’une nouvelle méthode de psycho-analyse au procédé explorateur de J. Breuer« [Meine Ergebnisse verdanke ich einer neuen Methode der Psycho-Analyse nach dem Verfahren des J. Breuer] ( L’Hérédité et l’Étiologie des Névroses, Bd. I, S. 416).
Damals galt die Psychoanalyse gemeinhin als Breuers Erfindung;
auch Freud sah das so. 1910 veröffentlichte Ludwig Frank das Buch Die Psychoanalyse und kritisierte Freud darin für dessen Interpretation der wahren – nämlich Breuerschen – Psychoanalyse. Schon damals warf der Schweizer Psychiater Freud Pansexualismus vor. In der Geschichte der Disziplin sollte dies zu einem wiederkehrenden Kritikpunkt werden. Freud mochte Franks Buch natürlich überhaupt nicht.
Manche Kollegen, die Psychanalyse anstatt Psycho-Analyse schrieben, beispielsweise Ludwig Frank, Dumeng Bezzola oder Auguste Forel, machten sich über Freuds grobe Wortschöpfung lustig und wiesen darauf hin, dass die Regeln der Wortneubildung auf der Basis griechischer Wörter nicht Psycho-Analyse, sondern nur Psychanalyse erlaubten. 1919 bemerkte Auguste Forel in Der Hypnotismus, ein Schweizer Arzt und Hypnotiseur, er schreibe den Begriff wie Bezzola, Frank und Bleuler, aber nicht wie Freud, und zwar mit Rücksicht auf die Ableitungsregeln. Wie Bezzola richtig bemerke, schreibe man auch Psychiatrie und nicht Psychoiatrie. Zuvor war Freud bereits über das Wort Narzissmus gestolpert ( Psychoanalytische Bemerkungen über einen autobiographisch beschriebenen Fall von Paranoia, Bd. VIII, S. 297).
Im Zuge seines Erfolges entwickelte sich Freud zunehmend zum Alleinherrscher über die psychoanalytische Bewegung in Europa, obwohl er eigentlich nur einer der Beteiligten war. Um an die Macht zu gelangen, errichtete er eine wahre Kriegsmaschinerie. Sie bestand aus Netzwerken, treuen Mitarbeitern, unterwürfigen Schülern, wohlgesonnenen Herausgebern, orthodoxen Veröffentlichungen und später auch Säuberungsmaßnahmen: Jeder, der sich für eine Formen- und Methodenvielfalt innerhalb der Psychoanalyse einsetzte, wurde unschädlich gemacht. Man denke an die bekannten Fälle Jung und Adler. So brachte Freud die Psychoanalyse zunächst europaweit und später international auf Linie.
Dann beschloss er, seine Allmacht auf den Begriff und die Sache auszudehnen. Hatte er noch 1910 Breuer als den Erfinder der
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