Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
gewichen.« (ebd., S 134) Diese Bedingungen waren verständlicherweise nur schwer zu vereinen und die Aussichten des Patienten auf Heilung schienen begrenzt, zumindest wenn man Freud glaubt. Und so wurde der Wolfsmann tatsächlich nie geheilt.
Und doch spricht Freud am Ende der Analyse von einer gesundheitlichen »Herstellung« (ebd., S. 157). Was hatte es damit auf sich? Lassen wir Pankejeff selbst zu Wort kommen. Über Freuds Interpretation seines Traums sagte er, sie sei »doch irgendwie an den Haaren herbeigezogen« (Obholzer, Gespräche mit dem Wolfsmann, S. 51). Er habe nämlich nie im Zimmer der Eltern, sondern immer im Zimmer des Hausmädchens geschlafen.
Sein Leben lang hatte er Depressionen, rauchte noch mit siebenundachtzig Jahren dreißig Zigaretten täglich und kam zu dem Schluss: »Ich habe da ein gewisses Darmleiden, das ich – leider! – durch die Psychoanalyse bekommen habe.« (ebd., S. 65) Von ihm erfahren wir auch, dass Freud, der jede medizinische Behandlung ablehnte und nur an die Psychoanalyse glaubte, dennoch Medikamente verschrieb (ebd.). Über seine wiederkehrenden Krisen sagte Pankejeff: »Wenn ich geheilt gewesen wäre, hätte so was nicht kommen dürfen.« (ebd., S. 72). An Freuds Versprechen auf Heilung glaubte er nicht mehr: »[I]ch habe schon so viele Analysen gemacht. […] Ich hab gar keine Lust mehr.« (ebd, S. 119) Er bekannte, mit siebenundachtzig Jahren immer noch in Behandlung zu sein. Der von Freud geheilte Pankejeff konsultierte bis zu seinem Tod 1979 noch zehn weitere Psychoanalytiker und gab zu, es sei ihm nach den Analysen schlechter gegangen als zuvor.
Nach Freuds Überzeugung zählte die Heilung nichts im Vergleich zum Fortschritt der Theorie. Doch führte diese Fallgeschichte wirklich zu einer theoretischen Weiterentwicklung? Der Konquistador hatte seinen Weg gemacht, doch hatte er tatsächlich Neuland erobert und sich auf einer Stufe mit Kopernikus und Darwin platzieren können? Zweifel sind angebracht. Heute wissen wir, dass Freud nur auf dem Papier Heilerfolge erzielte. Er steht damit in der Tradition der Schamanen, Zauberer, Hexer, Magnetiseure, Wünschelrutengänger und anderer postmoderner Fakire. Zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte beschloss einer von ihnen, sich Psychoanalytiker zu nennen.
V.
Freud ist nicht der Erfinder der Psychoanalyse
»Lassen Sie mich also fürs erste daran mahnen,
daß die Psychotherapie kein modernes Heilverfahren
ist. Im Gegenteil, sie ist die älteste Therapie,
deren sich die Medizin bedient hat.«
Sigmund Freud, Über Psychotherapie (Bd. V, S. 14)
Freud ist nicht der Erfinder der Psychoanalyse: Er erfand weder den Begriff – obwohl das überall behauptet wird – noch die Sache selbst, die es schon seit der Antike gibt und die Freud in neuem Gewand überlebte. Beginnen wir mit der Sache. Ich hänge der Vorstellung an, die prähistorische Medizin bestand in einem Schamanismus, der mit Formeln, Gesten oder Gesängen die Geisterwelt beschwor, wenn Heilung gewünscht war. Wir können davon ausgehen, dass auch Tränke, Salben oder Aufgüsse bei der Behandlung von Krankheiten zum Einsatz kamen und dass all das sicherlich angenehm für die Kranken war.
Die Zauberei der von Freud für ihr medizinisches Wissen sehr geschätzten Ägypter arbeitete mit Suggestionen, Mythologie, Aufzählungen, esoterischen Formeln, Heilmitteln, Amuletten, Riten und einem Arsenal an heilenden Wörtern, unterstützt von bestimmten Substanzen mit konkreter pharmakologischer Wirkung. Diese vorwissenschaftliche ägyptische Medizin war in vielen Fällen erfolgreich, vom Alten Reich bis in die Zeit der Kopten. Archäologische Funde wie zum Beispiel in Stein gemeißelte Dankesbezeugungen belegen ihre Wirksamkeit.
Es ist bekannt, dass die griechische Medizin während des Hellenismus in besonderer Beziehung zum Theater im Allgemeinen
und zur Tragödie im Besonderen stand. Erkrankungen der Seele wurden damals im Theater behandelt, wo die bezahlten Therapeuten mit Suggestionen, ritualisierten Inszenierungen, Gesängen, Tänzen auf Tierhäuten, Waschungen, Worten, Beschwörungen, der Anrufung magischer Kräfte, dem Verbringen der Nächte im Heiligtum und Handauflegen arbeiteten und – natürlich – heilten, wovon bei Ausgrabungen gefundene Votivbilder zeugen. Doch von Diogenes ist der perfide Ausspruch überliefert, es gäbe viel mehr dieser Votivbilder, wenn die Patienten sie anlässlich gescheiterter Behandlungen gestiftet hätten.
Die
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