Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
Pankejeffs Traum zuschrieb.
Die Analyse dauerte vier Jahre, von Februar 1910 bis Juli 1914. Gegenüber der Journalistin Karin Obholzer sagte Pankejeff, er sei täglich außer sonntags zu je einstündigen Sitzungen in die Berggasse 19 gegangen. Rechnet man die damaligen Dollar in heutige Euro um, kostete die gesamte Psychoanalyse den Wolfsmann etwa 500 000 Euro.
Freud lebte in einem gehobenen Stadtviertel in einer Wohnung mit siebzehn Zimmern. Er hatte drei Hausangestellte, von denen eine, Paula Fichtl, auch im Haus schlief, und zwar auf einer Klappbank im Flur. »Professor Freud«, wie auf dem Schild an der Tür zu lesen war, hatte sechs Kinder. Zusammen mit Tante Minna musste er jeden Tag zwölf Personen ernähren. 1974 sagte Pankejeff: »Na ja, der Nachteil der Psychoanalyse ist sicherlich, dass sie nur für reiche Leute in Frage kommt. So eine Behandlung kann sich ja kaum jemand leisten« (Obholzer, Gespräche mit dem Wolfsmann, S. 49 f). Das hatte Freud 1905 in Über Psychotherapie prinzipiell bestätigt (Bd. V, S. 19).
Doch was war das Ergebnis dieser berühmten Analyse? Gemäß seiner Traumtheorie und der Logik von Verdichtung, Verschiebung und Darstellung nahm Freud mit den Gegenständen eine Reihe von Gleichsetzungen vor. Die Analyse umfasst ungefähr hundert Seiten und wimmelt von seltsamen Äquivalenzbeziehungen. Der Wolf ist ein Schaf, weil er weiß ist; die Bewegungslosigkeit der Wölfe entspricht der Bewegung der Eltern; Aktivität ist Passivität; angesehen werden bedeutet ansehen; der Baum ist ein Weihnachtsbaum; die Wölfe sind Geschenke; die weißen Wölfe sind die weiße Unterwäsche der Eltern; der Wolf steht für einen Lateinlehrer namens Wolf; die dichten Ruten der Wölfe bedeuten das Fehlen von Schwänzen; das offene Fenster entspricht einer sexuellen Erwartung; die winterliche Szenerie ist eine sommerliche; weiß steht für den Tod; die in Stücke geschnittenen Raupen entsprechen zerstückelten Kindern; ein Vater, der seiner Tochter Geld gibt, ist jemand, der mit seiner Tochter symbolisch ein Kind zeugt; fünf Wölfe deuten auf fünf Uhr früh hin; der Flügelschlag eines Schmetterlings entspricht den Beinbewegungen einer Frau während des Sexualakts; die Flügelspitzen sind Symbole der Genitalien; der Flügel des Schmetterlings hat die Form einer Birne und deutet somit auf den Namen des Hausmädchens hin; auf die Dielen urinieren heißt einen Verführungsversuch unternehmen; die Angst vor Schmetterlingen ist Kastrationsangst; Durchfall symbolisiert Kastration; die Angst, von Wölfen gefressen zu werden, ist die Angst »vom Vater koitiert zu werden« ( Aus der Geschichte einer infantilen Neurose, Bd. XII, S. 141).
Nach diesen eigenwilligen Gleichsetzungen erläuterte Freud den Traum: Als Pankejeff anderthalb Jahre alt war (ebd., S. 63), habe er im Sommer um fünf Uhr nachmittags im Zimmer der Eltern geschlafen. »Als er erwachte, wurde er Zeuge eines dreimal wiederholten coitus a tergo, konnte das Genitale der Mutter wie das Glied des Vaters sehen und verstand den Vorgang wie dessen Bedeutung.« (ebd., S. 64) Freud unterstellte also, dass ein Kind
mit anderthalb Jahren bis drei zählen, den sexuellen Akt verstehen und sich über zwanzig Jahre später daran erinnern kann. Das wird jeden Verfechter der Vernunft erstaunen. Doch Freud wollte die Deutung genauer erklären und hoffte einstweilen auf den »vorläufigen Glauben an die Realität dieser Szene« (ebd., S. 65) seitens der geneigten Leserschaft!
Der Beweis allerdings war recht weit hergeholt. Sergej Pankejeff hatte das angebliche Erlebnis mit anderthalb Jahren gehabt. »Die Szenen von Beobachtung des elterlichen Sexualverkehrs, von Verführung in der Kindheit und von Kastrationsandrohung sind unzweifelhafter, ererbter Besitz, phylogenetische Erbschaft, aber sie können ebensowohl Erwerb persönlichen Erlebens sein.« (ebd., S. 131) Die Sache ist also ganz einfach: Ob Pankejeff seine Eltern nun beobachtet hat oder nicht, spielt keine Rolle, denn gesehen hat er sie so oder so: Im ersten Fall hat sein ontogenetisches Auge die konkrete Szene wahrgenommen, im zweiten Fall das phylogenetische Auge seines Unbewussten. Er hat die Szene also auf jeden Fall gesehen.
Wie kann man eine derartige Erkrankung – ich spreche von der des Patienten – behandeln? Freuds Antwort: »Nur wenn er sich dem Weib substituieren, die Mutter ersetzen darf, um sich vom Vater befriedigen zu lassen und ihm ein Kind zu gebären, dann ist seine Krankheit von ihm
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