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Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert

Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert

Titel: Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Widerstand des Über-Ichs und der Todestrieb verbergen. Der Patient bereite sich auf die Heilung vor, und eben weil der Erfolg der Therapie unmittelbar bevorstehe, führe sie letztlich doch nicht ans Ziel. Freud musste das Fiasko in einen Erfolg umdeuten, weil die Psychoanalyse das Scheitern nicht kennt. Wer glaubte, eine Therapie sei misslungen, irre: Es handele sich in Wahrheit um einen Misserfolg, der den Erfolg beweise. Was kann man solchen Sophistereien schon entgegenhalten?
    Dritter Untersophismus: Hinter einer Neurose kann sich eine weitere verbergen. Freud erfand dieses neue rhetorische Kunststück, weil es vorkam, dass geheilte Patienten nach einer Weile mit neuen Symptomen wieder bei ihm auftauchten. Auch hier kam das Eingeständnis des Scheiterns nicht infrage. Der Psychoanalytiker habe das richtig behandelt, was er behandelt habe, aber er könne nicht für etwas verantwortlich gemacht werden, was er nicht behandelt habe. Als sei eine Neurose ein Ganzes und man könne einen Teil davon behandeln, ohne dass der Rest dadurch berührt werde.
    Als Emma Eckstein, in deren Nase Fließ nach der Operation Gaze vergessen hatte, mit neuerlichen Symptomen bei Freud erschien, konnte dieser sein Scheitern natürlich nicht zugeben. Vielmehr sei die Patientin wegen einer zweiten Neurose gekommen, die Freud zuvor nicht habe behandeln können, weil sie noch gar nicht existiert habe. Die Operation habe die neuen Beschwerden ausgelöst. Sie litt an Blutungen, welche Freud mit ihrer hysterischen Disposition erklärte, doch für das Auftauchen der neuen Neurose konnte der Analytiker nicht verantwortlich gemacht werden. Obwohl Freuds Diagnosefehler desaströse Konsequenzen für die Patientin hatte, stilisierte er sich triumphierend zu einem Analytiker, der gleich zwei Neurosen nacheinander geheilt hatte
    Dieser Taschenspielertrick ließ Freud in Die endliche und die
unendliche Analyse schreiben, man müsse das zukünftige Schicksal einer Heilung voraussehen. Die seltsame Formulierung legt nahe, eine Heilung müsse nicht endgültig sein und wäre dann eine Nichtheilung, denn das Wesen einer Heilung ist, dass sie endgültig ist – sonst spricht man von einem Rückfall. Entweder jemand ist geheilt und muss nicht weiter behandelt werden, oder jemand muss weiter behandelt werden und ist folglich nicht geheilt. Doch auch hier konnte Freud nicht zugeben, dass die Psychoanalyse kein Allheilmittel ist. Sie heile, und alle nach der Heilung auftretenden Beschwerden hätten nichts mit dem zu tun, was behandelt wurde, denn das sei ja geheilt.
     
    Sechster Sophismus: Ist eine Psychoanalyse ineffizient, so löst man das Problem nicht, indem man sich von ihr abkehrt, sondern durch eine nochmalige Hinwendung zur Psychoanalyse. Und wenn schließlich jede Kritik unmöglich gemacht wurde, kann die Gemeinschaft der Analytiker als letztes Mittel den Therapeuten selbst hinterfragen. Doch auch hier gilt: Korpsgeist verpflichtet.
    Denn es gibt keine schlechte Psychoanalyse. Es gibt nur Analytiker, die noch nicht Analytiker genug sind, noch nicht genug Erfahrung haben. Im Marxismus-Leninismus erklärte man die Arbeitslager mit dem unzureichenden Marxismus-Leninismus. Nach dem gleichen Prinzip lässt eine misslungene Therapie nicht den Schluss zu, sie sei schlecht, sondern beweist lediglich, dass sie noch nicht stark genug ist. Verfehlt die Psychoanalyse ihr Ziel, muss man ihr zugestehen, es mit noch mehr Psychoanalyse zu erreichen.
    Mit solchen Argumenten ist man immer auf der Siegerseite. Freud, die Psychoanalyse und die Psychoanalytiker sind unangreifbar, weil Freuds Lehre ihnen einen Platz außerhalb aller Regeln zugewiesen hat. Er empfand jedes Infragestellen seiner Theorien als persönlichen Angriff, und wie könnte es auch anders sein – hatte er doch stets deutlich gemacht, wie sehr sein Leben mit der Psychoanalyse verwoben war, wie sehr er sich mit ihr
identifizierte. Sie war sein Kind, seine Kreatur. Der Wiener Doktor, der vorgab, von seiner »sehr schweren Psychoneurose« geheilt zu sein, verschmolz letztlich mit seiner Schöpfung. Und seine Schüler verneigen sich seit nunmehr hundert Jahren vor einem Totem, das zum Tabu wurde. Doch es ist nicht die Aufgabe eines Philosophen, vor einem Totem niederzuknien.

Teil 5
IDEOLOGIE
    Die konservative Revolution

I.
Das Schlimmste ist uns stets gewiss
    »[E]s sind nicht alle Menschen liebenswert.«
    Sigmund Freud, Das Unbehagen
in der Kultur (Bd. XIV, S. 461)
     
     
    Die sophistische Blockade

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