Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
Person, also [ sic ] die Mutter« ( Über die weibliche Sexualität, Bd. XIV, S. 525) gekommen sei. Das Unbewusste weiß diese Dinge, aber das Bewusstsein verdrängt das verborgene Wissen (wie kann man übrigens etwas verdrängen, das man nicht weiß?). Wer die Psychoanalyse ablehnt, weigert sich, sein Ich kennenzulernen.
Ohnehin gibt es laut Freud keinen wirklichen Unterschied zwischen dem Kranken und dem Gesunden. Er sagte dies in Protokolle der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung (Bd. II, S. 506), in Der Mann Moses und die monotheistische Religion (Bd. XVI , S. 233), in Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie (Bd. V, S. 132), in Zur Psychopathologie des Alltagslebens (Bd. IV, S. 309) und in Abriß der Psychoanalyse (Bd. XVII, S. 125). Immer wieder betonte Freud, »daß es nur quantitative und nicht qualitative Unterschiede zwischen den Normalen und den Neurotischen gebe.« ( Protokolle der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung, Bd. IV, S. 35)
Die gefährliche nihilistische Revolution, mit der Freud und die Seinen den Unterschied zwischen dem Normalen und dem Pathologischen
aufheben wollten, differenzierte nicht mehr zwischen normal und anormal, geistiger Krankheit und Gesundheit, sondern zwischen den Patienten und Analytikern – also auch Freud selbst – auf der einen und den anderen – also den Gegnern – auf der anderen Seite. So können beispielsweise Gilles de Rais oder de Sade zu positiven Figuren werden, während sich deren Opfer besser in die nächstgelegene psychoanalytische Praxis begeben sollten.
Dritter Sophismus: Jede Kritik an der Psychoanalyse ist eine Kritik an Freud, der Jude war, womit sie stets im Verdacht des Antisemitismus steht. Sein ganzes Leben lang betonte Freud, wie sehr die Psychoanalyse in Verbindung mit seiner Biographie stand; sie sei sein »Lebensinhalt« ( Nachschrift 1935 zur »Selbstdarstellung«, Bd. XVI, S. 31) geworden. Freud gab zu, es könne der Eindruck entstanden sein, er habe sich vom Judentum entfernt, weil er dessen Traditionen und Rituale nicht befolgte. Und doch sei er im tiefsten Innern jüdisch. In der Vorrede zur hebräischen Ausgabe von Totem und Tabu verschrieb er seine Arbeit dem »Geist des neuen Judentums« (Bd. X, S. 569) und kam selbst immer wieder darauf zurück, wenn er Kritiker kritisierte ( Zur Geschichte der psychoanalytischen Bewegung, Bd. X, S. 79 f). Jede Opposition sah sich dem Verdacht des bewussten – oder natürlich unbewussten – Antisemitismus ausgesetzt.
Als Freuds akademische Karriere sich nicht zu seiner Zufriedenheit entwickelte, gab er dem Antisemitismus die Schuld daran. Aus dem gleichen Grund sei es der Psychoanalyse angeblich zunächst nicht gelungen, sich durchzusetzen. Auch als ihn sein Grad an Berühmtheit nicht zufriedenstellte, suchte er den Grund im Antisemitismus. Und er schadete Pierre Janet, von dessen Arbeit er immerhin profitiert hatte, indem er ihn damit in Verbindung brachte. Auf dem internationalen Medizinkongress 1913 in London kritisierte Janet Freuds Pansexualismus und erklärte ihn damit, dass in Wien eine ganz eigene Atmosphäre herrsche, in der
der Sexualität zu große Bedeutung beigemessen werde. Das Argument ist tatsächlich etwas bescheiden, aber Janet sprach nirgends von den Juden und gab keinerlei Anlass zu der Annahme, seine Kritik sei antisemitisch motiviert. Freud mochte es nicht, wenn man ihn nicht mochte, und kommentierte Janets Vortrag in Zur Geschichte der psychoanalytischen Bewegung folgendermaßen: »Das Aperçu lautet, die Psychoanalyse, respektive die Behauptung, die Neurosen führen sich auf Störungen des Sexuallebens zurück, könne nur in einer Stadt wie Wien entstanden sein, in einer Atmosphäre von Sinnlichkeit und Unsittlichkeit, wie sie anderen Städten fremd sei, und stelle einfach das Abbild, sozusagen die theoretische Projektion dieser besonderen Wiener Verhältnisse dar.« (Bd. X, S. 80)
Freud hielt das für Unsinn, und man könnte ihm recht geben. Doch er fuhr fort: Die Theorie sei so unsinnig, dass sie wohl einen anderen Hintergrund habe. Freud sagte nichts Genaues, das aber auf sehr vielsagende Weise. Diese Stilfigur heißt Andeutung und ist ein tödliches Gift.
Direkter ging Freud das Thema in Die Widerstände gegen die Psychoanalyse an: »Endlich darf der Autor in aller Zurückhaltung die Frage aufwerfen, ob nicht seine eigene Persönlichkeit als Jude, der sein Judentum nie verbergen wollte, an der Antipathie der Umwelt gegen die Psychoanalyse Anteil gehabt hat.
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