Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
verbundene Gewinn wichtiger sein und die Vorteile der Heilung überwiegen könne. Denn sie bringe Aufmerksamkeit, Liebe und Zärtlichkeit anderer ein, die sonst möglicherweise fehlten. Und sie bewahre zuweilen vor schlimmeren
Übeln. Ein Kriegsneurotiker müsse nicht mehr an die Front, ein anderer entgehe den Härten des Berufslebens ( Bruchstück einer Hysterie-Analyse, Bd. V, S. 204).
Freud gab ein Beispiel, das zeigte, wie hoch er die Arbeiterklasse schätzte: Er stellte den Fall eines kranken Dachdeckers vor, der vom Dach gestürzt war und sein Leben nun als Bettler fristete. Wie würde er reagieren, wenn man ihm Heilung in Aussicht stellte? Wahrscheinlich ungehalten, denn er lebe ja inzwischen von seiner Krankheit: »Nimmt man ihm die, so macht man ihn vielleicht ganz hilflos; er hat sein Handwerk unterdessen vergessen, seine Arbeitsgewohnheiten verloren, hat sich an den Müßiggang vielleicht auch ans Trinken gewöhnt.« (ebd., S. 203) Rein zufällig hatte Freud bereits im Beginn einer Analyse das Beispiel des Arbeiters zur Erläuterung des Krankheitsgewinns verwendet.
Durch die Krankheit erhalte das Kind die Aufmerksamkeit seiner Eltern, und die vernachlässigte Ehefrau wecke wieder das Interesse ihres Mannes. Die Psyche strebe deshalb nach der Aufrechterhaltung der Krankheitsursache. In diesem Fall könne auch der talentierteste Analytiker nichts bewirken! Das Scheitern der Therapie liegt also nicht an dessen Unfähigkeit, sondern an dieser wunderbaren Entdeckung namens Krankheitsgewinn, deren Zweck es ist, das Ego des Analytikers zu entlasten.
Zweiter Untersophismus: Gegen eventuelle Kritik grenzt sich die Disziplin mit einem weiteren Dispositiv ab. Es nennt sich Scheitern am Erfolg und illustriert bestens die freudsche Sophistik. Wir begegnen diesem Konzept in Die endliche und die unendliche Analyse.
Dort wird von einer nahezu erfolgreichen Analyse berichtet (wobei wir nicht erfahren, woran dieser Erfolg erkennbar ist), die gerade deshalb scheitert, weil der Patient kurz vor dem Therapieerfolg steht. Der Fall wird zwar nicht benannt, aber wer mit Freuds Gesamtwerk vertraut ist, erkennt in der Beschreibung des jungen reichen Mannes in Begleitung seines Personals den Wolfsmann. Erinnern wir uns an die Details dieser von Freud als erfolgreich
bezeichneten Analyse und vergessen wir dabei nicht, dass Sergej Pankejeff diesen angeblichen Erfolg zeitlebens bestritt.
Zu einem bestimmten Zeitpunkt während der Analyse weigerte sich der Patient, weiterhin mit Freud zusammenzuarbeiten. Das Scheitern war also nicht Freuds, sondern Pankejeffs Schuld. In seinen Interviews mit Karin Obholzer berichtete Pankejeff von einer Metapher Freuds: »Der Freud hat gesagt, wenn man die Psychoanalyse hinter sich gebracht hat, dann kann man gesund werden. Aber man muß auch gesund werden wollen. Das ist so wie eine Fahrkarte, die man kauft. Die Fahrkarte gibt die Möglichkeit zu fahren. Aber ich muss nicht fahren. Es hängt von mir ab, wie ich mich entscheide.« (Obholzer, Gespräche mit dem Wolfsmann, S. 61)
Der Erfolg einer Psychoanalyse kommt dem Therapeuten zu; der Misserfolg dagegen liegt an der mangelnden Bereitschaft des Patienten. Sollen wir daraus schließen, dass Wollen gleich Können ist? Wir haben es anscheinend mit der Wiener Version der Autosuggestion zu tun und brauchen Freuds schweres Gerät gar nicht. Wenn man um Freuds Angst vor Eisenbahnen weiß, erstaunt es nicht, dass er eine Fahrkarte ausstellt, ohne sich darum zu kümmern, wofür man sie benutzt.
Mit Beginn der Therapie hatte der Wolfsmann zunächst die Lust am Leben und seine Autonomie wiederentdeckt und begegnete seiner Familie mit großer Härte. Freud hatte eine Kindheitsneurose bei ihm ans Licht befördert, die ihm sehr zupass kam: »[U]nd es war deutlich zu erkennen, daß der Patient seinen derzeitigen Zustand als recht behaglich empfand und keinen Schritt tun wollte, der ihn dem Ende der Behandlung näher brächte. Es war ein Fall von Selbsthemmung der Kur; sie war in Gefahr, grade an ihrem – teilweisen – Erfolg zu scheitern.« ( Die endliche und die unendliche Analyse, Bd. XVI , S. 60 f) Dann bewies Freud ungeahnten Mut: »In dieser Lage griff ich zu dem heroischen [ sic ] Mittel der Terminsetzung.« (ebd., S. 61) Und wie durch Zauberhand wurde der Patient geheilt – behauptete jedenfalls Freud.
In Das Ich und das Es erläuterte Freud, dass sich hinter einer negativen Reaktion auf die Therapie unbewusste Schuldgefühle, Masochismus, der
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