Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
Ein Argument dieser Art ist nur selten laut geäußert worden, wir sind leider so argwöhnisch geworden, daß wir nicht umhin können, zu vermuten, der Umstand sei nicht ganz ohne Wirkung geblieben. Es ist vielleicht auch kein bloßer Zufall, daß der erste Vertreter der Psychoanalyse ein Jude war. Um sich zu ihr zu bekennen, brauchte es ein ziemliches Maß von Bereitwilligkeit, das Schicksal der Vereinsamung in der Opposition auf sich zu nehmen, ein Schicksal, das dem Juden vertrauter ist als einem anderen.« (Bd. XIV, S. 110) Die Vereinsamung ist bislang nicht bewiesen.
Die Lektüre von Chronologie de la psychanalyse du temps de Freud relativiert Freuds Paranoia. Sein Leben lang behauptete
er, man habe ihn nicht geschätzt, sein Talent nicht erkannt, seine Arbeit nicht gewürdigt. Doch dieser auf reine Faktendarstellung beschränkte Text belegt, dass Freuds Arbeiten weltweit rezipiert wurden. 1899 wurden sie an der Medizinischen Fakultät von Salvador de Bahia besprochen, also noch vor dem Erscheinen der Traumdeutung. Im selben Jahr beschäftigte man sich an der Clark University in den USA mit den Studien über Hysterie; im Jahr 1900 erschien in Lyon eine Doktorarbeit, die sich auf ihn stützte; 1902 sprach Henri Bergson auf einer Konferenz über Freud; 1903 erwähnte der damals berühmteste japanische Schriftsteller Mori Ogai Freuds Sexualtheorie in einem medizinischen Artikel; im folgenden Jahr kommentierte ein Kriminalpsychiater sein Werk; Über den Traum wurde ins Russische übersetzt; 1905 schrieb eine indische Zeitschrift über die Psychoanalyse; ebenso in Norwegen; in den Niederlanden eröffnete August Stärke eine analytische Praxis und veröffentlichte zum Thema; 1909 traf Freud auf der Überfahrt in die USA – übrigens zur Entgegennahme seiner Ehrendoktorwürde – einen Schiffsangestellten, der in die Psychopathologie des Alltagslebens versunken war; 1910 wurde die Psychoanalyse in Kuba bekannt. Nach und nach fand die neue Lehre auf dem ganzen Planeten Verbreitung.
Vierter Sophismus: Jede Kritik von Dritten, die nicht dem Duo Analytiker/Analysierter angehören, ist unbegründet. Freud untersagte es Dritten, nicht am Dialog zwischen Therapeut und Patient Beteiligten, sich direkt oder indirekt in die Therapie einzumischen. Dazu bediente er sich in den Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse der Metapher des Chirurgen: Dem käme es auch nicht in den Sinn, während der Operation auf den Rat von Familienmitgliedern oder Freunden zu hören. Gleiches gelte für die psychoanalytische Praxis: »Bei den psychoanalytischen Behandlungen ist die Dazwischenkunft der Angehörigen geradezu eine Gefahr« ( Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse,
Bd. XI, S. 478). Manchen von ihnen sei zudem daran gelegen, dass der Patient nicht gesund werde.
Diese Regel weitete Freud auf alles aus, was das Verhältnis zwischen Patient und Analytiker betraf. Niemand sollte sich zwischen beide stellen, denn ihre Beziehung ginge nur sie etwas an. Dabei gelangt jede Kur irgendwann zum Thema Eltern, Geschwister, Freunde, Kollegen, Geliebte oder andere Personen des täglichen Lebens. Doch keiner von ihnen darf an den geheimen Gesprächen der beiden Personen teilhaben, die an der Übertragung und Gegenübertragung arbeiten, also an der zunächst positiven und später negativen – weil reaktiven – affektiven Fixierung.
Die Übertragung funktioniert nur, wenn die Analyse gut verläuft, denn der Patient berichtet dem Analytiker von den Gefühlen, die er in frühester Kindheit seinen Eltern gegenüber hatte. Wo zeigt sich deutlicher, dass die Kur den Patienten infantilisiert? Er erlebt zum zweiten Mal die Wahl des Liebesobjekts. Der Analytiker weiß natürlich, dass die Liebe sich nicht auf ihn persönlich, sondern auf die Eltern bezieht. Nach dem Verschwinden der Übertragung kommt es zu aggressiven Gefühlen, die sich gleichfalls nicht auf ihn beziehen. Mit viel Ruhe kann er die Patienten durch die Gefühlsturbulenzen begleiten. Es ist deshalb undenkbar, dass ein Dritter in dieser intimen Beziehung Platz findet.
Fünfter Sophismus: Das Scheitern einer Psychoanalyse ist stets dem Patienten anzulasten, niemals aber dem Analytiker. Zugehörige Sophismen sind der Krankheitsgewinn, das Scheitern am Erfolg oder die Neurose, die eine weitere Neurose verbirgt.
Erster Untersophismus: Angesichts des Falles Dora kam Freud der Gedanke, das Unbewusste wolle die Krankheit zuweilen aufrechterhalten, weil der mit ihr
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