Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
zeigt, dass die Psychoanalyse ein in sich geschlossenes System ist, das Diskussionen, Kritik oder Kommentare nicht akzeptiert und jeden Gegner umgehend zum kranken, neurotischen Feind erklärt, der auf der Couch behandelt werden müsse. Sie funktioniert eben nicht nach dem liberalen Prinzip der Aufklärung, das seine Gegner nicht kriminalisiert, pathologisiert und verachtet.
Im 18. Jahrhundert lag die Aggression nicht aufseiten der Philosophen der Aufklärung, sondern bei den Antiphilosophen, die sich gegen die Enzyklopädisten stellten, diese persönlich angingen, ihre Aussagen verdrehten, sie schlecht machten und verleumdeten. Man erinnere sich an die sogenannte Cacouacs -Affäre – von griechisch kakos (böse) –, bei der es um ein anonym veröffentlichtes und gegen die Enzyklopädisten gerichtetes Pamphlet ging. Die polemischen Angriffe der Antiphilosophen gegen die Denker der Aufklärung erinnern an den Umgang Freuds und seiner Anhänger mit potentiellen Gegnern.
Charakteristisch für die Gegenaufklärung war deren radikaler Pessimismus. Ihre Vertreter hielten an der christlichen Ursünde fest, an einem seit dem Biss in den verbotenen Apfel vererbten Bösen, und sie hassten alle Philosophen, die im Gefolge Rousseaus an das Gute im Menschen glaubten, die wie Condorcet auf den
Fortschritt der Menschheit und auf eine positive Teleologie der Geschichte vertrauten und die wie die Enzyklopädisten gegen den Aberglauben den Gebrauch der Vernunft ins Feld führten.
Wir haben gesehen, dass Freud nichts von den Philosophen und der Philosophie hielt. Er glaubte nicht an das angeborene Gute im Menschen, wie Warum Krieg? klar und deutlich zeigt – darauf werde ich noch zurückkommen. Auch an den Fortschritt oder die Vervollkommnung der menschlichen Natur glaubte Freud nicht, genauso wenig wie an die Geschichte. Der Rationalität kehrte er zugunsten der magischen Kausalität den Rücken und vertrat entgegen jeder biologischen Vernunft die Theorie der phylogenetischen Vererbung. Der Ödipuskomplex wird in Freuds Lehre in ähnlicher Weise vererbt wie die Ursünde im christlichen Denken. Freuds Glauben an Numerologie, Okkultismus, Gedankenübertragung und Telepathie war mit der Philosophie der Aufklärung unvereinbar.
Eine weithin anerkannte Ansichtskarte zeigt Freud als den Erben der Philosophie der Aufklärung im 20. Jahrhundert. Begleitet wird sie oft von der Behauptung, er sei ein aufgeklärter liberaler Jude gewesen und habe das Liebesleben von allerlei Zwängen befreit. Die folgenden Kapitel werden zur Erosion dieser verbreiteten Klischees beitragen. Sie zeigen Freuds Faszination für Dollfuß’ Austrofaschismus und für Mussolini. Sie erzählen von der vom Meister gebilligten Zusammenarbeit einiger seiner Anhänger mit dem Göring-Institut, das die Anwendung der Psychoanalyse im Dritten Reich reglementierte, ohne sie jedoch zu verbieten; von der Kriminalisierung der Masturbation, von der ontologischen Homophobie, Misogynie und Phallokratie und von der deutlichen Ablehnung der sexuellen Befreiung.
Die Psychoanalyse wird charakterisiert durch ihre ablehnende Haltung gegenüber der Geschichte, der Realität und der materiellen Kausalität und durch ihre Konzentration auf Fantasmen, Symbole, magisches Denken, Fantasien, Mythologie und metapsychologische Fabeln. Und genau diese wundersame Epistemologie
erklärt die enormen ideologischen Irrwege, die Sigmund Freud, die freudsche Lehre und die Psychoanalyse in die Tradition der Gegenaufklärung stellen. Im besten Fall ist sie also eine konservative, im schlimmsten eine reaktionäre Strömung.
Allein die Freudomarxisten integrierten die Geschichte in ihre Theoriebildung (wobei sie sich von der genuin freudschen Lehre abwandten) und nutzten die Psychoanalyse zur Kritik am Kapitalismus, den vor allem Wilhelm Reich, später auch Herbert Marcuse und Erich Fromm für die modernen Neurosen verantwortlich machten. Auf den vielen tausend Seiten von Freuds Gesamtwerk sucht man eine ehrliche Kritik am Kapitalismus genauso vergeblich wie eine Kritik am Faschismus oder dem Nationalsozialismus. Stattdessen begegnen uns dort mehrere Angriffe auf den Sozialismus, Kommunismus und Bolschewismus. Zwischen Mussolinis Regierungsantritt 1922 und seinem Tod 1939 veröffentlichte Freud über tausend Seiten, die keine einzige kritische Analyse des europäischen Faschismus enthalten. Auch den Namen Hitler sucht man in den zwischen der Machtergreifung 1933 und Freuds Tod 1939
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