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Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert

Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert

Titel: Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Lebensziel tauge. Man könne auch versuchen, alle glücklich zu machen, aber dieses Ideal sei unerreichbar. Man könne auf halluzinogene Substanzen zurückgreifen, wie es in allen Völkern der Welt praktiziert werde, zerstöre aber damit seinen Körper, dämpfe die Empfindungen und verliere viel Energie, die man für interessantere Aufgaben verwenden könne. Man könne versuchen, seine Begierden auszulöschen, aber das käme einem langsamen Tod gleich. Man könne versuchen, sein Triebleben dem Realitätsprinzip zu beugen, aber damit nehme man sich jede Möglichkeit des Lusterlebens,
denn es bringe mehr Lust, einem wilden Trieb nachzugeben als einem domestizierten. Eine andere Option sei, die Libido durch psychische und intellektuelle Anstrengung auf andere Objekte zu richten, wie im Fall der Sublimierung, aber diese Fähigkeit hätten nur Künstler und Forscher; zudem sei diese Methode – hier sprach Freud aus Erfahrung – nicht gänzlich befriedigend. Man könne sich den Illusionen hingeben und als Ästhet in der Scheinwelt der Kunst leben, aber dies gelinge auf Dauer nicht. Alternativ könne man sich in die Arbeit versenken, wo Bestandteile der Libido wie Narzissmus, Aggressivität oder Erotik ebenfalls eine Rolle spielten, aber nur wenige Menschen hätten einen Beruf, in dem sie ganz und gar aufgingen; die meisten arbeiteten aus Notwendigkeit. Oder man flüchte sich in das Liebesleben und greife auf die Lusterlebnisse der Kindheit zurück, aber Lieben bedeute Leiden, Verzicht und sich einem anderen anvertrauen, der uns das Leben zur Hölle machen, uns verlassen, krank und alt werden oder sterben könne, wodurch unser Leid sich noch verstärke. Man könne versuchen, die Welt zu verändern und eine weniger repressive Gesellschaft zu begründen, aber man liefe dabei Gefahr, völlig realitätsfremd zu werden.
    Freud glaubte, Utopien gesellschaftlicher Veränderung im Sinne von Hedonismus oder sexueller Befreiung seien zum Scheitern verurteilt. Er überlegte, wie es wäre, wenn »eine größere Anzahl von Menschen gemeinsam den Versuch unternimmt, sich Glücksversicherungen und Leidensschutz durch wahnhafte Umbildung der Wirklichkeit zu schaffen. Als solchen Massenwahn müssen wir auch die Religionen der Menschheit kennzeichnen. Den Wahn erkennt natürlich niemals, wer ihn selbst noch teilt.« (ebd.) Eine deutlichere Warnung an alle Wahnsinnigen, welche die Welt verändern wollen, kann man kaum aussprechen. Die Lösung liege nicht in der Veränderung der Welt, sondern in deren Akzeptanz. Wir werden darauf zurückkommen, wenn wir uns mit Freuds Ansichten über den Chef und die Masse auseinandersetzen.

    Auf genuines Glück gibt es demnach keine Aussicht; individuelles wie kollektives Glück sind Definitionsfragen. Liebesbeziehungen oder enge Familienbande stehen im Verdacht, von der wahren Welt abzulenken; sie erhöhen die Chance auf Enttäuschung.
    Doch auch wer seine Liebe auf die gesamte Menschheit ausdehnt, bleibt laut Freud chancenlos. Denn wer alle liebt, liebt niemanden besonders, und außerdem gilt – hier stoßen wir zum Kern des freudschen Denkens vor – : »[E]s sind nicht alle Menschen liebenswert.« (ebd., S. 461) Das ist der kategorische Imperativ einer pessimistischen politischen Denkweise und war von Macchiavelli über Joseph de Maistre bis Emile Cioran stets die Grundlage reaktionärer Theorien.
    Gibt es eine Lösung? »Das Glück, in jenem ermäßigten Sinn, in dem es als möglich erkannt wird, ist ein Problem der individuellen Libidoökonomie. Es gibt hier keinen Rat, der für alle taugt; ein jeder muß selbst versuchen, auf welche besondere Fasson er selig werden kann.« (ebd., S. 442) Es ist sich also jeder selbst der Nächste in dieser brutalen, barbarischen, vom Todestrieb bestimmten Welt. Das Unbehagen in der Kultur entwirft eine düstere Welt, in der das Gesetz des Stärkeren gilt und jeder irgendwie versuchen muss, seine Triebe zu befriedigen.
    Ein Narzisst, der sich selbst genügt, wird eine Lösung finden, genau wie ein hyperaktiver Mensch sich in Tätigkeiten oder ein Erotomane in ein aktives Sexualleben stürzen kann. Aber Kranke, Neurotiker, Menschen mit psychischen Beschwerden werden es nicht schaffen, sie bleiben unbefriedigt und unzufrieden. Doch sie sind ohnehin nicht zum Glück bestimmt, sondern zu »Ersatzbefriedigungen« (ebd., S. 443), etwa der Flucht in die Krankheit oder die Religion. Ansonsten bleibt ihnen nur ein noch gefährlicherer Ausweg: die Psychose.
    In Freuds

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