Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
entstandenen Texten vergeblich.
Freud war explizit gegen den Einsatz der Psychoanalyse für die sexuelle Befreiung. Freuds Ansichten zur sexuellen Befreiung waren komplexer, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Um sie zu verstehen, muss man sich mehrere seiner Thesen genauer ansehen. Erstens: Freud behauptete, jede Gesellschaft konstituiere sich durch die Unterdrückung der sexuellen Triebe. Zweitens: Er beklagte, diese Unterdrückung sei der Hauptentstehungsgrund der Neurosen. Drittens: Er äußerte den Wunsch, dies möge sich ändern. Viertens: Er wusste um die Vergeblichkeit seines Wunsches, denn sein essentialistisches, ahistorisches Weltbild schloss jede Möglichkeit zur Veränderung aus und unterstellte, dass die Menschen für alle Ewigkeit bleiben, was sie sind. In der Zusammenschau ergeben diese Thesen eine pessimistische Philosophie, die immer vom Schlimmsten ausgeht.
Als Kenner der Genealogie der Moral wusste Freud, dass die Libido und die sexuellen Triebe dionysische Kräfte sind, die das apollinische Gesellschaftsgebäude zum Einsturz bringen können. Für ihn bildete gerade die Umleitung der Triebkräfte die Basis der sozialen Ordnung; das Zurückstellen der eigenen Bedürfnisse stärke die Gruppe.
Doch die Libido sei hedonistisch; die Triebe wollten sich ausbreiten und körperlich ausdrücken, während die Gesellschaft die Menschen in ein asketisches Lebensideal zwänge. In Das Unbehagen in der Kultur stellt Freud fest: Die Menschen »streben nach dem Glück, sie wollen glücklich werden und so bleiben.« (Bd. XIV, S. 433) Tieren und Menschen sei gemeinsam, nach dem Angenehmen zu streben und das Unangenehme zu vermeiden. »Es ist, wie man merkt, einfach das Programm des Lustprinzips, das den Lebenszweck setzt.« (ebd., S. 434) Es ging Freud hier um eine von der Moral unabhängige Kraft, die nicht unmoralisch, aber amoralisch war. Sie kümmerte sich nicht um Sünde und Tugend, um Gut und Böse. Sie existierte einfach.
Das Lustprinzip könne aber nicht Gesetz sein, weil es vom Realitätsprinzip daran gehindert werde. Dieses setze sich strukturell der uneingeschränkten Herrschaft der Lust entgegen, denn diese könne nur von kurzer Dauer sein. Halte sie an, so werde sie unerträglich. Das Wesen der Lust sei also ihre Vergänglichkeit. An ihre Stelle träten andere Kräfte. So finde die Lust nie ein Ende und setze sich ewig fort.
Freud zufolge genießt man zwar den lustvollen Zustand, aber mehr noch den Kontrast zwischen Lust und Unlust. Unser Lusterleben ist durch die Physiologie begrenzt; ein stundenlanger Orgasmus würde uns völlig erschöpfen. Das Leid dagegen kann man öfter und länger ertragen. Es kommt von überall her, vor allem aber entstammt es drei Quellen: dem sterblichen Körper selbst, der Umwelt, die reich an Gefahren ist, und unseren Beziehungen zu anderen Menschen, einem Biotop des Negativen.
Die meisten Menschen sind klug und verlangen nicht zu viel. Jeder
weiß, dass Glück schwer zu bekommen und zudem vergänglich ist. Sind Kinder noch vom Lustprinzip geprägt, weil sie nichts von der Wirklichkeit wissen, regiert bei Erwachsenen bereits das Realitätsprinzip, das Verzicht, Opfer und andere Frustrationen mit sich bringt. Erwachsene suchen nicht mehr nach schneller Lustbefriedigung, sondern ziehen ihren Lustgewinn überwiegend daraus, so wenig wie möglich unter der Wirklichkeit zu leiden. So herrscht ein negativer Hedonismus, und Epikurs Ataraxie tritt in den Dienst der freudschen Leidenschaften.
Freud entwickelte eine Art »Technik der Lebenskunst« (ebd., S. 440) in Katalogform. Er benannte Strategien, mit denen man nicht (allzu) unglücklich und sogar (ein bisschen) glücklich sein konnte. Doch sein Pessimismus wirkte sich auch hier aus. Auf jede Technik folgten Bedenken und Einschränkungen. Letztlich schien es keinen Ausweg zu geben, denn er sah überall das Nirwanaprinzip am Werk, welches das Leben in den Zustand vor dem Leben zurückstreben ließ – nämlich ins Nichts.
Beschäftigen wir uns genauer mit diesem Katalog dessen, was man tun kann, um so wenig Unglück wie möglich zu erleben, während man auf den Tod wartet. Man könne versuchen, alle Bedürfnisse zügellos zu befriedigen. Das sei das verlockendste, aber auch gefährlichste Mittel, denn der Preis solcher Maßlosigkeit sei hoch. Eine andere Möglichkeit bestünde darin, sich von der Welt und den Menschen zurückzuziehen; was praktisch sei, wenn man schnell Ruhe finden wolle, was aber nicht zum
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