Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
isoliert behandelten zu korrigieren vermögen.« (Bd. VIII, S. 91) Welche das sind, werden wir nie erfahren.
Im März 1908 erschien Die »kulturelle« Sexualmoral und die moderne Nervosität. Hier kritisierte Freud die herrschende Sexualmoral, welche die Sexualität streng auf ein monogames Eheleben begrenze. Dies zwinge die Menschen, einander zu belügen und zu betrügen. Freud wusste, wovon er sprach. Die Unterdrückung der Sexualität führe zu sexuellen Störungen, Perversionen oder Homosexualität. Wem die Fähigkeit zur Sublimierung fehle, der entwickle eine Neurose.
Die Ehe vernichte das Begehren. Kommt ein Kind, so richte sich die Libido des Paares ganz auf den Nachwuchs aus. Begierde und Lust verschwänden, es herrsche Frustration. Das Ideal sei eine gänzlich befreite Sexualität, aber das lasse die Gesellschaft nicht zu. Also gingen die Männer in Bordelle, während die Frauen frigide oder neurotisch würden, sobald die Kinder aus dem Haus seien. Übrig bleibt nur eine harmlose Palliativmedizin namens Masturbation, die Freud seltsamerweise als eine der Hauptursachen psychischer Probleme brandmarkte.
Freud nutzte diese bedauernswerten Umstände, um Werbung für seine Lehre zu machen. 1925 lehnte er in Die Widerstände gegen die Psychoanalyse eine generell befreite Sexualität zwar immer noch ab, aber er pries die Psychoanalyse, die vorschlage, »mit der Strenge der Triebverdrängung nachzulassen und dafür der Wahrhaftigkeit mehr Raum zu geben. Gewisse Triebregungen, in deren Unterdrückung die Gesellschaft zu weit gegangen ist, sollen zu einem größeren Maß von Befriedigung zugelassen werden, bei anderen soll die unzweckmäßige Methode der Unterdrückung auf dem Wege der Verdrängung durch ein besseres und gesicherteres Verfahren ersetzt werden.« (Bd. XIV, S. 107) Wenn es darum ging, wie die Strenge der Triebverdrängung gelockert
werden könnte, durfte man allerdings nicht mit konkreten Ratschlägen von Freud rechnen. Und auch darüber, wo die Gesellschaft zu weit gegangen war, oder über Details dieses besseren Verfahrens ließ er sich nicht weiter aus.
Es ist wichtig zu verstehen, dass Freuds Lösungsangebot nicht im allgemeinen Sinne politisch, sondern individuell gedacht war. Freud dachte an die Couch, genauer: an seine Couch. Es ging nicht um die Gesellschaft als Ganzes, sondern um den Einzelnen, der lernen sollte, mit seinem subjektiven Triebhaushalt zurechtzukommen. Freuds Lösung war nicht antipolitisch, aber unpolitisch; sie war individualistisch, egoistisch und ganz auf die jeweilige Person abgestimmt. Die Couch existierte nur aus einem einzigen Grund: weil die Gesellschaft die Menschen zur Verdrängung zwang, und Freud sah sich nicht in der Rolle des Angreifers, der dieses System als Ganzes gefährden wollte. Das versuchte zwar später der Freudomarxismus, aber Freud selbst hätte diese Weiterführung seiner Idee nicht unterstützt.
In ausreichender Entfernung von Klöstern und Bordellen dachte Freud über die bestmögliche Form des Sexuallebens nach. Das Ergebnis war keine reine Theorie oder politische Doktrin, sondern eine nominalistische Position. Freud meinte, dass jeder eine auf ihn zugeschnittene Lösung für das eigene Sexualleben finden sollte, und zwar unabhängig vom Rest der Welt oder der sexuellen Misere des Planeten. Weil die sexuelle Befreiung eine Sackgasse war, erschien die Couch als perfekte Lösung. Erneut weitete Freud die persönliche Erfahrung auf die allgemeine Theoriebildung aus.
Freuds Sexualleben mit seiner Frau Martha, mit der er sechs Kinder hatte, war den Briefen an Fließ zufolge von wechselnder Intensität. Es gab Zeiten, in denen er anscheinend nicht mit seiner Frau, wohl aber mit seiner Schwägerin schlief – und zwar mit Marthas schweigender Zustimmung. Der Legende zufolge hatte Freud ab dem siebenunddreißigsten Lebensjahr gar kein
Sexualleben mehr. Mit dieser Darstellung sollte die These unterstützt werden, dass die Erfindung der Disziplin der Psychoanalyse durch Sublimierung möglich geworden war, und damit zugleich Freuds Lehre legitimiert und Ehebruch und Inzest kaschiert werden.
So wurde die Couch zu einem Instrument zur Regulierung der sexuellen Intersubjektivität. Dabei sollte sie nicht zu viel und nicht zu wenig leisten, sollte weder Mönche noch Freigeister hervorbringen. Aus dem tragischen Pessimismus ergab sich auch auf dem Gebiet der Sexualität und der Politik eine konservative Position. Keineswegs sollte die Psychoanalyse im
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