Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
Therapie eine Rolle spielen könnte.« ( Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, Bd. XI, S. 449) Denn die Probleme würden nicht durch die Unterdrückung des Sexuellen, sondern durch die intrinsische Funktionsweise
des Unbewussten verursacht. Wie befreit die Sexualität auch wäre, die Schwierigkeiten bestünden weiterhin, denn die Triebe führten ganz selbstverständlich zur Verdrängung. Gelänge es, die Unterdrückung der Sexualität zu beseitigen, bedürfe es eines Substituts in Gestalt neuer Symptome. Das Problem an der sexuellen Repression war für Freud also nicht die Repression, sondern die Sexualität.
Freud vertrat die Ansicht, zur Stimulierung der Sexualität bedürfe es eines Hindernisses und der Opposition. In Beiträge zur Psychologie des Liebeslebens heißt es: »Es ist leicht festzustellen, daß der psychische Wert des Liebesbedürfnisses sofort sinkt, sobald ihm die Befriedigung bequem gemacht wird. Es bedarf eines Hindernisses, um die Libido in die Höhe zu treiben, und wo die natürlichen Widerstände gegen die Befriedigung nicht ausreichen, haben die Menschen zu allen Zeiten konventionelle eingeschaltet, um die Liebe genießen zu können. Dies gilt für Individuen wie für Völker. In Zeiten, in denen die Liebesbefriedigung keine Schwierigkeiten fand, wie etwa während des Niederganges der antiken Kultur, wurde die Liebe wertlos, das Leben leer, und es bedurfte starker Reaktionsbildungen, um die unentbehrlichen Affektwerte wieder herzustellen. In diesem Zusammenhange kann man behaupten, daß die asketische Strömung des Christentums für die Liebe psychische Wertungen geschaffen hat, die ihr das heidnische Altertum nie verleihen konnte. Zur höchsten Bedeutung gelangte sie bei den asketischen Mönchen, deren Leben fast allein von dem Kampfe gegen die libidinöse Versuchung ausgefüllt war.« (Bd. VIII, S. 88) Sind das die Worte eines Befreiers der Sexualität?
Freud war zwar der Meinung, der Schraubstock der Sittlichkeit solle ein bisschen gelockert werden, aber ihn gänzlich abzuschaffen kam nicht infrage! Auf dem Gebiet der Sexualität war Freud kein Revolutionär, sondern nur ein äußerst vorsichtiger Reformer. In diesem Sinne muss man seine Äußerungen verstehen, zum
Beispiel einen Brief an Fließ vom 7. März 1896, in dem er den Freund aufforderte, so schnell wie möglich ein sicheres Verhütungsmittel zu entwickeln, das den coitus interruptus unnötig mache, stünde dieser doch am Anfang zahlreicher Neurosen. Eine solche Entdeckung schien ihm als »[s]elbstverständliche Methode zur Reform der Gesellschaft an Nerven und Gliedern durch Sterilisation des sexuellen Verkehrs.« ( Briefe an Wilhelm Fließ, S. 187) Derselbe Freud sagte im Privaten, er wünsche sich Akademien, auf denen man Sexualität erlernen könnte.
Zweimal wich er nach Analysen, in denen er die Notwendigkeit der sexuellen Repression bestätigt hatte, leicht von dieser Haltung ab und machte gewisse Zugeständnisse. So schrieb er in Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse: »Wir sind zwar keine Reformer, sondern bloß Beobachter, aber wir können nicht umhin, mit kritischen Augen zu beobachten, und haben es unmöglich gefunden, für die konventionelle Sexualmoral Partei zu nehmen, die Art wie die Gesellschaft die Probleme des Sexuallebens praktisch zu ordnen versucht« (Bd. XI, S. 450). Freud wollte seinen Patienten in der Analyse dennoch nicht zu einem freieren Sexualleben raten.
Wer analysiert wurde, sei »gegen die Gefahr der Unsittlichkeit dauernd geschützt, mag sein Maßstab der Sittlichkeit auch von dem in der Gesellschaft gebräuchlichen irgendwie abweichen.« (ebd., S. 451) Auf der Couch scheint sich die Sexualität zu entmaterialisieren: Dank der analytischen Alchimie, die das Unbewusste in Bewusstes verwandelt und so die Verdrängung und die mit ihr verbundenen Symptome aufhebt, wird sie zu etwas rein Symbolischem. Anders gesagt: Die politische und gesellschaftliche Befreiung der Sexualität verliert ihre Notwendigkeit, weil die Psychoanalyse die Sexualität einer reinigenden Behandlung unterzieht.
In den Vorlesungen hatte Freud also die sexuelle Befreiung abgelehnt, aber die individuelle Befreiung durch die Therapie versprochen. In ähnlicher Weise kritisierte er in Beiträge zur Psychologie
des Liebeslebens die herrschende Sexualmoral und schloss: »Aber ich bin selbst gern bereit zuzugeben, […] daß vielleicht andere Entwicklungseinrichtungen der Menschheit das Ergebnis der hier
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