Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
Clique der Psychoanalytiker, die sein Talent nicht begriff, mit Empedokles konfrontiert, welcher sich in grober Missachtung der historischen Chronologie als eine Art unbewusster Freudianer erwies.
Gestärkt durch Empedokles’ Unterstützung sah sich Freud beinahe in der Lage, die Identität seiner Theorie mit der des Denkers aus Agrigent einzugestehen. Doch es gelang ihm nicht. Der Vergleich mit einem Philosophen oder mit der Philosophie schien ihm einfach nicht zulässig. Und so kam er zu dem Schluss, zwischen
beiden Theorien gebe es einen entscheidenden Unterschied, nämlich »daß die des Griechen eine kosmische Phantasie ist, während unsere sich mit dem Anspruch auf biologische Geltung bescheidet.« (ebd.) Hier bewegen wir uns auf bekanntem Terrain: Auf der einen Seite Intuition und Vorstellungskraft, auf der anderen die Wissenschaft! Hier Empedokles, dort Freud. Anders ausgedrückt: Gestern eine Poetik der Träumerei, heute eine Wahrheitsdoktrin.
Hat Freud Empedokles gelesen? Und wenn ja, hat er daraus Vorteile gezogen und die vorsokratische Theorie vom Kampf zwischen Liebe und Hass für seine eigene Theorie der beiden Triebe genutzt? Lesen wir nach, was er über die Frage der Entstehung seiner Gedanken dazu schrieb: »Ich opfere dieser Bestätigung gern das Prestige der Originalität, zumal da ich bei dem Umfang meiner Lektüre in früheren Jahren doch nie sicher werden kann, ob meine angebliche Neuschöpfung nicht eine Leistung der Kryptomnesie war.« (ebd., S. 90)
Demnach bestimmt also die Kryptomnesie das unbewusste Zurückerinnern an etwas einst Gelesenes, das während der Arbeit an einer angeblich selbst entwickelten Theorie plötzlich und unerwartet zutage tritt. Der Theoretiker des Unbewussten hielt es nicht für nötig, diesen hübschen, bei Théodore Flournoy entliehenen Gedanken näher zu analysieren. Er eignet sich hervorragend als Rechtfertigung, wenn man etwas vielleicht gelesen hat, sich jedoch nicht daran erinnert. Eben weil man sich nicht erinnert, ist die in der Vergangenheit rezipierte Quelle für die gegenwärtige Epiphanie irrelevant! Als Autor von Psychopathologie des Alltagslebens hätte Freud doch wissen müssen, dass das Vergessen in sehr enger Beziehung zum Unbewussten steht und derlei Abenteuerlichkeiten letztlich im Ödipuskomplex gründen – weil der Vater seinen Sohn mit der Kastration per Messer bedroht oder weil man mit der eigenen Mutter schlafen möchte.
Vor diesem Hintergrund ist es schwierig, die philosophischen Quellen eines Philosophen aufzuzeigen, der keiner sein will und
sich auf seine Eigenschaft als Wissenschaftler beruft. So trägt die Kryptomnesie schwer an ihrer Verantwortung. Die folgende Liste umfasst nur die möglichen Anleihen bei der antiken Philosophie: Empedokles’ Theorie von Liebe und Hass beziehungsweise Lebens- und Todestrieb; die ontologische Basis des sokratischen »Erkenne dich selbst« und die Notwendigkeit der Selbstbeobachtung und Selbstanalyse für die Bildung des Ich; zahlreiche – von Freud bestrittene – Schnittstellen zwischen dem Traumbuch des Artemidor von Dalis und der symbolischen Methode in der Traumdeutung; die Technik des Antiphon von Athen, der Pathologien behandelte, indem er mit den Patienten sprach und sich von diesen bezahlen ließ, nachdem sie ihr Gewissen erleichtert hatten, und Freuds Prototyp der Analyse, nämlich die Behandlung durch bezahlte Gespräche; die Theorie über das Androgyne aus Aristophanes’ Rede in Platons Gastmahl und Freuds Theorie der Bisexualität (Freud zitiert diese Quelle in Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie ).
Kommen wir zu Freuds Zeitgenossen. Er machte zahlreiche Anleihen bei Wissenschaftlern. Hierzu gibt es umfangreiche und eindeutige Untersuchungen (Henri F. Ellenbergers Entdeckung des Unbewussten sowie Frank J. Sulloways Freud – Biologe der Seele ), welche Beziehungen, Schnittstellen und die vertuschte (positive oder negative) Verwendung fremden Materials darlegen. Sie zeigen den intellektuellen, soziologischen, philosophischen, aber auch anatomischen, histologischen, physiologischen, biologischen, chemischen, physikalischen und neurologischen Nährboden, auf dem Freuds Werk entstand, und sie zerstören die Legende von einem Forscher, dem nach langer und geduldiger wissenschaftlicher Arbeit – meist nur an sich selbst – die Gnade der Erkenntnis zuteil wurde.
Wenden wir uns wieder Nietzsche zu und lassen wir das bereits Gesagte außer Acht. Erinnern wir an etwas, das den
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