Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
seinen Tonfall vorhalten oder seine Beleidigungen, seine Vorurteile über die blind im Dunkeln rufenden, koprophilen Philosophen. Und dann könnte man sich fragen, woher so viel Hass kommt. Er, der den Philosophen ohne Grund und ohne Beweise, ohne Namen oder Referenzen Verachtung vorwarf, verachtete selbst die Philosophen und lieferte uns dafür sogar Beweise, er nannte Namen und kriminalisierte sogar per Ferndiagnose. Man denke nur an Nietzsche, den gewohnheitsmäßigen Besucher von Männerbordellen.
Freud hatte sich also vorgenommen, der Philosophie ein Ende zu setzen, und zwar mit einer Waffe namens Psychoanalyse. Der avisierte Tod der Philosophie ließ viel (philosophische) Tinte fließen, führte zu zahlreichen (philosophischen) Büchern, gefolgt von ausgiebigen (philosophischen) Debatten. Der Gedanke, eine nur auf Aussagen basierende Lehre ihrem Ende zuzuführen und im Sinne des Positivismus des 19. Jahrhunderts den Siegeszug der Wissenschaft zu sichern, wurde zum festen Bestandteil von Freuds Werk. Dieser Fantasterei fielen von Marx über Comte bis Freud viele große Geister zum Opfer – Nietzsche allerdings blieb davon immer verschont.
Wie kann man unter 2500 Jahre europäischer Philosophie einen Schlussstrich ziehen? Indem man aufzeigt, dass sie sich zwar wie eine Wissenschaft geriert und scheinbar wissenschaftliche Methoden anwendet, jedoch keine vernünftige Grundlage hat. Freud, der angeblich keine Weltanschauung vertrat, berichtete 1913 in Das Interesse an der Psychoanalyse, dass seine Lehre für folgende Bereiche von Interesse sei: Psychologie, Linguistik, Biologie, Psychiatrie, Phylogenese, Sexualität, Kunst, Soziologie, Pädagogik, Kultur, Völkerkunde, Mythologie, Folklore, Religion, Recht, Moral – und natürlich Philosophie.
Man kann die Philosophie aber auch auf andere Weise töten, indem
man nämlich behauptet, dass sie das Unbewusste stets übersehen oder in den Bereich des Mystischen, Ungreifbaren und Ungewissen verwiesen habe. All diese Anschuldigungen sind falsch, wie wir gesehen haben, insbesondere in Bezug auf Schopenhauer und Nietzsche, die den größten Einfluss auf Freud hatten, wenn nicht auch auf Eduard von Hartmann. Doch Freuds Taktik funktionierte recht gut, und der Versuch, die Philosophie im Namen der Psychoanalyse umzubringen, gelang immerhin teilweise. Ein Ergebnis des von Freud ins Leben gerufenen Irrglaubens sind die berühmten Humanwissenschaften, die schon vielen Opfern den Garaus gemacht haben.
Um das Verbrechen zur Vollendung zu bringen, müsste man die Philosophie auf die Couch legen, damit sie ihre uneingestandenen Geheimnisse preisgibt. Eine solche Behandlung ist verlockend, denn sie umfasst die Diagnose einer Zwangsneurose sowie eine Gratistherapie, um sie durch regelmäßige Sitzungen zu beheben. Für Freud war ein guter Philosoph nur ein toter Philosoph – oder einer, der ins psychoanalytische Lager übergelaufen war.
Zu welcher Tatwaffe griff Freud bei seinen Mordversuchen? Er unterzog die Philosophen der »Psychographie« ( Das Interesse an der Psychoanalyse, Bd. VIII, S. 407). Er ergründete ihre Seelentriebe, Instinkte, unbewussten Wirkprinzipien und genetischen Komplexe und suchte dabei nach einem Ariadnefaden im Labyrinth dieser besonderen Persönlichkeiten. Mit ungewohnter Sensibilität sprach Freud von »hervorragender individueller Ausprägung« (ebd.), mit deren Hilfe der Philosoph und damit dessen Philosophie begriffen werden sollte. Ein wahrhaft nietzscheanischer Gedanke!
Der Mann, der behauptete, jede Biographie über ihn sei unmöglich und unnötig, schrieb zugleich, sie sei machbar und nötig, sobald sie andere betreffe. Denn die Psychoanalyse könne die subjektiven und individuellen Motive angeblich nur auf Logik basierender philosophischer Theorien aufdecken und damit auf die Schwachpunkte des Systems hinweisen. Das ist fast so schön
wie eine Seite aus der Fröhlichen Wissenschaft! Weil Nietzsche die Idee zuerst hatte, erlaube ich mir, eine solche »Psychographie« mit der Person und der Figur Sigmund Freud durchzuführen. Es folgt deshalb eine nietzscheanische Psychobiographie des Erfinders der Psychoanalyse.
Teil 2
GENEALOGIE
Einblicke in Freuds Kinderschädel
I.
Eine »ausgesprochene Psychoneurose«
»Meine Stärke wurzelt in meinem
Verhältnis zur Mutter.«
Sigmund Freud, Eine Kindheitserinnerung aus
»Dichtung und Wahrheit« (Bd. XII, S. 26)
Eine Psychographie Freuds muss dessen ambivalenter Haltung zur Philosophie
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