Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
Verzicht auf das Feuerlöschen durch Urinieren erklärt? Wird etwa keine Weltanschauung angewendet beziehungsweise missbraucht, wenn der Philosoph wider Willen namens Freud in Das Unbehagen in der
Kultur über die phallische Natur der Flamme doziert und über die Homologie zwischen dem Löschen des Feuers mit dem Urinstrahl und dem sexuellen Akt mit einem Mann? Der Urinierende genieße so die Freude an der männlichen Stärke, ohne sich in einer homosexuellen Konkurrenzsituation zu befinden. Wer den Drang, das Feuer zu löschen, unterdrücke, beherrsche es fortan und gewinne dadurch an Stärke. So erklärt sich auch, dass die Frau aus einleuchtenden anatomischen Gründen auf dieses Spiel verzichten und forthin alles verwahren müsse, was der Mann von seinen durch das unterdrückte Feuerlöschen erfolgreichen Streifzügen mitbringe. Freud trägt all dies sehr ernsthaft vor und betont, diese universellen Wahrheiten legitimierten sich aus seinen eigenen »analytischen Erfahrungen« ( Das Unbehagen in der Kultur, Bd. XIV, S. 449, Fußnote). Man versteht nun, dass ein bloß mit der eigenen Vorstellungskraft bewaffneter Philosoph nicht zu solchen Schlussfolgerungen gelangt wäre, denn diese erfordern Klinik, Sitzungen auf der Couch und lange, geduldige Beobachtung.
Und trägt Freud nicht auch eine Weltanschauung vor, wenn er seine – selbstverständlich wissenschaftliche – Hypothese vom Ursprung der Musik präsentiert? Aus einem Brief zu diesem Thema an Stefan Zweig vom 25. Juni 1931 erfahren wir durch Freuds koprophiles Vokabular mehr über ihn selbst als über die Musik: »In mehreren Analysen mit Musikern ist mir deren besonderes, in die Kindheit zurückreichendes Interesse für die Geräusche, die man mit dem Darm macht, aufgefallen. […] [O]b man annehmen soll, in die (uns unbekannte) Begabung für Musik gehe eine starke anale Komponente ein, lasse ich unentschieden.« (Stefan Zweig, Briefwechsel, S. 197) Gustav Mahler, den Freud binnen vier (!) Stunden während eines Spaziergangs durch die Straßen des niederländischen Leiden analysierte, leistete bestimmt einen bedeutenden Beitrag zu diesem wissenschaftlichen Befund.
Freud unterscheidet zwei Arten, die Welt zu begreifen: Auf der einen Seite befinden sich Kunst, Religion und Philosophie – eine
perfide Gruppierung, weiß doch jeder, welch geringes Ansehen die Religion bei ihm genießt. Auf der anderen Seite steht die Psychoanalyse – in anderen Worten: Freuds eigene Art, die Welt zu begreifen. Erstere arbeiten mit ästhetischen Fabeln, literarischen Allegorien, religiöser Mythologie und philosophischen Fiktionen. Die Psychoanalyse – selbstverständlich den Vorherigen nicht nachrangig – vermittelt aus klinischen Beobachtungen gewonnene wissenschaftliche Wahrheiten, für jeden zu erkennen am pinkelnden Steinzeitmenschen oder am Furz des Musikers.
1926 zeigte Freud sich erneut als erklärter Gegner der Philosophie: »Ich bin überhaupt nicht für die Fabrikation von Weltanschauungen. Die überlasse man den Philosophen, die eingestandenermaßen die Lebensreise ohne einen solchen Baedeker, der über alles Auskunft gibt, nicht ausführbar finden. Nehmen wir demütig die Verachtung auf uns, mit der die Philosophen vom Standpunkt ihrer höheren Bedürftigkeit auf uns herabschauen.« ( Hemmung, Symptom und Angst, Bd. XIV, S. 123)
Überlesen wir schnell den Gestus der Bescheidenheit, mit dem sich ein Mann schmücken will, dem diese Tugend eigentlich völlig fremd ist! Konzentrieren wir uns lieber auf die angebliche Verachtung, derer sich die Philosophen gegenüber ihren Kollegen schuldig machen: Auf wen trifft das zu? Wann, wo, in welchen Zeitschriften oder Veröffentlichungen haben sich Philosophen so geäußert? Wie viele gegen Freud gerichtete Bücher gab es im Jahr 1926? Sein Vorwurf ist paranoid, denn seine These von der Verachtung, die der neuen Disziplin vonseiten namen- und gesichtsloser Philosophen angeblich entgegenschlug, lässt sich durch historische Fakten nicht belegen. Freud behauptete weiter, die Philosophen veranstalteten einen Heidenlärm nach Art jener, die aus Angst im Dunkeln singen. Dieser Kohorte von Knallköpfen stellte er den Wissenschaftler gegenüber, der langsam und geduldig arbeitet, der seine Zeit mit Beobachtungen, Untersuchungen und Vergleichen verbringt, Informationen zusammenführt und
dann, ganz vorsichtig und nach umfangreicher experimenteller Überprüfung, bescheiden seine Ergebnisse vorlegt.
Man könnte Freud
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