Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
Und das ist nicht so ganz ungerecht.« ( Briefe an Wilhelm Fließ, S. 437) Damit ist es amtlich!
Wer glaubt auch nur im Geringsten, dass Hernán Cortés oder Christoph Columbus Wissenschaftler waren? Denn Freud, der so belesen war und so viel wusste, konnte doch – ungeachtet seiner Anfälle von Kryptomnesie – nicht außer Acht lassen, dass für jeden halbwegs Gebildeten die Konquistadoren gnadenlose, gewinnsüchtige, oft gesetzeslose Söldner waren, die sich nicht lange mit moralischen Überlegungen aufhielten. Den Konquistadoren verdanken wir Genozide, Massaker, Epidemien, Pandemien, die Verbreitung von Typhus, Pocken und Syphilis, zerstörte Zivilisationen und Massentötungen von Ureinwohnern. Und all das nur, weil die Kassen klingeln sollten. Denn sie glaubten, in den von ihnen einzig zu diesem Zweck entdeckten Gebieten gäbe es Reichtümer in Hülle und Fülle.
Wo ist jener Freud geblieben, der sich noch einen Monat zuvor auf den ersten Seiten der Traumdeutung als »Naturforscher« bezeichnet hatte? ( Vorbemerkung, Band II/III, S. VIII) Der im selben Buch seine Methode als »wissenschaftliches Verfahren der Traumdeutung« bezeichnete oder von einer »wissenschaftliche[n] Behandlung« der hier analysierten Träume sprach? ( Die Methode der Traumdeutung, Bd. II/III, S. 104) Wie können diese Glaubensbekenntnisse, die nur ihm selbst zu gelten scheinen und nur dem Zweck dienen, ihn selbst zu überzeugen, mit der Rede vom wagemutigen Abenteurer koexistieren? Selbst Freud gab zu, dass dieser Menschentyp nicht erstrebenswert und mit gutem Grund abzulehnen sei.
Freud wollte Geld und Berühmtheit. Deshalb musste er den
dunklen Wald nach dem Eldorado durchforsten. Im Dialog mit Fließ fühlte er sich einigermaßen geborgen und zeigte sein wahres Wesen. Hier stand er nicht im Scheinwerferlicht und vertraute seinem Freund alles an: Krankheiten, sexuelle Missgeschicke, Zweifel, die wiederkehrenden Depressionen, die Sehnsucht nach Patienten, Geldsorgen, den Wunsch, eine Familie zu gründen, und das Leid an der eigenen Unbekanntheit. Hier legte er die Maske ab und zeigte seine wahre Natur: Er war ein Abenteurer.
Ganz anders äußerte sich Freud, wenn er im Fokus der Aufmerksamkeit stand. Dann ließ er sich nicht in die Karten blicken. Auf der Bühne war er weder Abenteurer noch Konquistador, sondern Wissenschaftler. Ich wiederhole: Der Privatmann, der seinem Freud Fließ gestand, »gar kein Mann der Wissenschaft [ sic ], kein Beobachter, kein Experimentator« ( Briefe an Wilhelm Fließ, S. 437) zu sein, bezeichnete sich in seinen Büchern klar und deutlich als »Naturforscher« ( Vorbemerkung, Band II/III, S. VIII). Wem sollen wir glauben? Die Lektüre und Analyse des Gesamtwerks sowie dessen Zusammenschau mit den Briefen und Biographien zeigt, dass es der Briefschreiber ist, der die Wahrheit sagt.
Natürlich nahm Freud die Rolle des Konquistadoren nicht in seinen Werken ein, sondern in den Briefen oder etwa in einem Gespräch mit Marie Bonaparte, einer Schülerin, die ihn als eine Mischung aus Immanuel Kant und Louis Pasteur bezeichnete! Sein Biograph Ernest Jones überliefert, dass Freud diesen Vergleich zurückwies: Er sei zwar nicht bescheiden und schätze die eigenen Entdeckungen in hohem Maß, nicht aber sich selbst als Person. Auch Kolumbus sei nur ein Abenteurer gewesen, der sehr viel Energie gehabt habe, jedoch nicht als große Persönlichkeit bezeichnet werden könne. Man könne also bedeutende Entdeckungen machen, ohne ein bedeutender Mann zu sein.
V.
Wie ermordet man die Philosophie?
»Ich habe als junger Mensch keine
andere Sehnsucht gekannt
als die nach philosophischer Erkenntnis.«
Sigmund Freud, Brief an Wilhelm Fließ, 2. April 1896
( Briefe an Wilhelm Fließ, S. 190)
In seinem totalen Krieg gegen die Philosophen und die Philosophie war Freud nicht parteiisch. Mit trauriger Konsequenz warf er Materialisten und Idealisten, Atheisten und Christen, Doktrinäre und Utilitaristen, Platoniker und Epikuräer, Alte und Moderne, Hegelianer und Nietzsche-Anhänger, Spiritualisten und Positivisten, Mystiker und Szientisten, Vorsokratiker und Zeitgenossen in einen Topf. Und unter diesem Topf wollte Freud dann so richtig Feuer machen. Er wollte ein für allemal mit 2500 Jahren philosophischer Irrtümer aufräumen.
Sein Hauptvorwurf lautete: Der gesamten Zunft war seine größte Entdeckung, das Unbewusste, verborgen geblieben. Dabei nahm er Leibniz’ »kleine Perzeptionen«, Schopenhauers
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