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Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert

Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert

Titel: Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Kenntnis des Briefes an Fließ die kindliche These von der Nacktheit der Mutter in eine historische Wahrheit. Jones zufolge«wollte es auf der Reise von Leipzig nach Wien der Zufall, daß Freud seine Mutter nackt sah.« (Jones, Sigmund Freud – Leben und Werk, Bd. I, S. 31) 1959 schrieb Didier Anzieu in seinem Monumentalwerk Freuds Selbstanalyse und die Entdeckung der Psychoanalyse gleichermaßen, Freud habe die Mutter nackt gesehen. Und 1988 erzählte Peter Gay in Freud – Eine Biographie von der Bahnfahrt, »auf der er Gelegenheit hatte, ›sie nudam zu sehen‹« (S. 19). Einige Zeilen später bemerkte Gay den Fehler bezüglich Freuds Alter: »Er war tatsächlich beinahe vier und nicht knapp über zwei Jahre alt, als er einen Blick auf seine nackte Mutter erhaschte« (ebd.). So wundert es nicht, dass noch 2009, also nach dem Erscheinen des ungekürzten Briefwechsels mit Fließ, Gérard Huber in seinem 920 Seiten dicken Wälzer Si c’était Freud – biographie psychanalytique den Fehler reproduzierte. Über die Reise nach Wien schrieb er: »Bekanntlich datierte Freud auf diese Reise das entscheidende Erlebnis, bei dem er seine Mutter nackt gesehen hatte [ sic ] und spürte, wie sich seine Libido auf sie richtete« (S. 66). So wird ein Fehler durch mehrfache Wiederholung zur Wahrheit.
     
    Ein weiterer Brief von Freud illustriert die Verwandlung seiner persönlichen Fantasien in universelle wissenschaftliche Wahrheiten. Wieder zwischen zwei numerologischen Überlegungen berichtete er Fließ am 15. Oktober 1897, er habe nicht genügend Patienten. Es folgte eine Kindheitserinnerung an seine alte katholische Kinderfrau, die ihn immer heimlich mit zur Kirche genommen hatte. Eines Tages entdeckten die überraschten Eltern, dass ihr Sohn christliche Rituale pflegte. Es war eben jene Kinderfrau,
die später des Diebstahls überführt und im psychoanalytischen Sinne – wie bereits erläutert – »eingekastelt« wurde.
    In dem Brief an Fließ schrieb Freud: »Ganz ehrlich mit sich sein ist eine gute Übung. Ein einziger Gedanke von allgemeinem Wert ist mir aufgegangen. Ich habe die Verliebtheit in die Mutter und die Eifersucht gegen den Vater auch bei mir gefunden und halte sie jetzt für ein allgemeines Ereignis früher Kindheit.« Und nachdem er über Ödipus referiert und vernünftige Gegenargumente beiseitegewischt hatte, fuhr er fort: »Jeder der Hörer war einmal im Keime und in der Phantasie ein solcher Ödipus, und vor der hier in die Realität gezogenen Traumerfüllung schaudert jeder zurück mit dem ganzen Betrag der Verdrängung, der seinen infantilen Zustand von seinem heutigen trennt.« ( Briefe an Wilhelm Fließ, S. 293) So und nicht anders muss es sein – magister dixit.
    Hier ist Freuds Methode deutlich erkennbar: Er berief sich stets auf die ehrliche Selbstbeobachtung, und nachdem er alles vernebelt hatte, verkündete er, was er dort entdecke, sei wissenschaftlich und allgemein gültig. Auf welcher Basis? Nach welchen Kriterien? Mit welchen Beweisen? Das wird man nie erfahren, denn Freud begnügte sich mit Prophezeiungen und bewegte sich jenseits jeder wissenschaftlichen Beweisführung. Er war eher ein Moses, der Gesetzestafeln verlas, als ein Darwin, der auf einer systematischen Weltreise Beweise sammelte.
    Die Formulierung »auch bei mir« lässt vermuten, dass Fließ’ von Freud zerstörter Brief eine ähnliche Aussage enthielt. Schon in einem anderen Brief, in dem Freud berichtete, die Mutter nackt gesehen zu haben, gibt es einen Hinweis darauf, dass Fließ etwas Ähnliches über seinen Sohn erzählt haben muss. Doch weil wir Fließ’ Briefe nicht kennen, sollten wir derlei Schlussfolgerungen vermeiden. Die beiden Freunde scheinen jedenfalls ähnliche Fantasien gehabt zu haben, und dies genügte, um eine allgemeingültige Regel abzuleiten, um das erste Gebot der zukünftigen Psychoanalyse zu verkünden.
    Ausgehend von dem kindlichen Wunsch, die Mutter nackt zu
sehen, errichtete Freud sein Theoriegebäude. Was er erlebte, haben alle erlebt. Mehr noch: Es war schon immer so und wird immer so bleiben. In Totem und Tabu wird der Eindruck erweckt, dass es diesen Wunsch schon zu Beginn der Menschheit gab und dass man ihn endlos in die Zukunft projizieren könne. Demnach kennt jeder Mann das Gefühl, die Mutter zu begehren und auf den Vater eifersüchtig zu sein. Überall, immer. Das war Freuds Wahrheit. Er schrieb: »Ein einziger Gedanke […] ist mir aufgegangen.« So fangen Märchen an: Es war

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