Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
gründet laut Freud im Vatermord: Aus dem Verbot des Mordes, der Geburt der Moral und der Wiederkehr des Vaters in Form von Gesetzen entstand eine geniale Maschine für das Recycling des Vaters – die Religion. Für Freud war
»Gott im Grunde nichts anderes […] als ein erhöhter Vater.« (ebd., S. 177) Der Jude Freud lobte das Christentum, das sich zum Mechanismus des Vatermords bekenne. In der Kreuzigung des Sohnes und dem Verzehr seines Fleischs und Bluts in der Eucharistie zeige sich das Bewusstsein, dass jeder Moral ein Opfer zugrunde liege.
Dass sich dieses prähistorische Muster noch Tausende Jahre später in der Religion wiederfindet, interpretiert Freud als Beweis für den Ödipuskomplex, der alle Zeiten und Kulturen überdauere und phylogenetisch auf jede einzelne Psyche übertragen werde. Der Gedanke vom Vatermord als Grundlage des Gesetzes und mithin des Friedens beruhigte jedenfalls einen gewissen Sigmund Freud. Doch musste er dafür seine persönliche Fantasie auf die gesamte Menschheit in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ausdehnen? Zweifel sind berechtigt.
IX.
Die ewige Wiederkehr des Vatermords
»Ich habe die Verliebtheit in die Mutter und die Eifersucht
gegen den Vater auch bei mir gefunden und halte sie jetzt
für ein allgemeines Ereignis früher Kindheit.«
Sigmund Freud, Brief an Wilhelm Fließ, 15. Oktober 1897
( Briefe an Wilhelm Fließ, S. 293)
Freud war sein Leben lang von dem Wunsch getrieben, den Vater zu töten, wann immer sich ihm die Gelegenheit dazu böte. Ob in Das Unbehagen in der Kultur, Die Zukunft einer Illusion, Der Mann Moses und die monotheistische Religion oder in Thomas Woodrow Wilson – Freud kämpfte sich mit den Vaterfiguren ab, allen voran Gott, und ließ auch den armen US-Präsidenten nicht ungeschoren davonkommen. Schon auf den ersten Seiten der Psychographie über Wilson spürt man seinen Hass auf den Mann, der nichts verbrochen hatte, außer den eigenen Vater zu lieben! Freud hatte selbst dann keine Angst, verbissen zu wirken, als er Shakespeare die Autorschaft an dessen Werken absprach.
In Die Zukunft einer Illusion lieferte Freud eine Dekonstruktion von Glauben und Religion. Intellektuell sah er sich damit auf einer Ebene mit Feuerbach, dem Idol seiner Jugend. Man findet hier auch tatsächlich die feuerbachschen Thesen wieder, doch bei ihm geht es weniger um Kryptomnesie als um die reine Wiedergabe einer zutreffenden Analyse: Die Menschen erschaffen ihre Götter, weil sie zu schwach für das Leben und die Endlichkeit sind, weil sie dem Tod nicht ins Auge blicken, ihn nicht einmal denken können. Der Tod ist das große Schreckgespenst, gegen den sich die Menschen zu schützen versuchen, indem sie
ihn verleugnen. Sie erfinden ein unendliches, ewiges Jenseits, um im endlichen, sterblichen Diesseits leben zu können.
Dem fügte Freud hinzu, das Leben sei nur schwer zu ertragen, weil die Gesellschaft den Verzicht auf die Triebe und Begierden verlange. Sie konstituiere sich aus und bestehe dank der Unterdrückung dieser verdrängten Energien und führe so zur Genealogie der Neurosen. Das Leben füge den Menschen permanent narzisstische Kränkungen zu, etwa das Altern, Leiden und Sterben oder das Ertragen der Entropie bei sich und denen, die man liebt. Ausgehend von diesen natürlichen Kräften erfänden die Menschen Götter nach dem eigenen Vorbild, denen sie ihr Leid anvertrauten. So erklärten sich Animismus, Totemismus oder Polytheismus. Der Mensch verleihe seinen Gottheiten einen väterlichen Charakter.
Freud zufolge erfüllen die Götter drei Funktionen: Sie nehmen der Natur ihren Schrecken, versöhnen die Menschen mit ihrem grausamen Schicksal und entschädigen den Einzelnen für die durch Gesellschaft und Kultur zugefügten Leiden. Im Zuge des wissenschaftlichen Fortschritts habe man jedoch entdeckt, dass die Furcht vor der Natur unbegründet sei. Man habe sich von metaphysischen Ansätzen abgewandt, weil es für jedes bislang unerklärliche Phänomen eine physikalische und rationale Erklärung gegeben habe. So seien die »religiösen Märchen« ( Die Zukunft einer Illusion, Bd. XIV, S. 351) nach und nach von der Vernunft zurückgedrängt worden. Freud hielt sich zugute, mit der rationalen Psychoanalyse einen Beitrag zu dieser Entwicklung geleistet zu haben.
Die Religion bot für ihn die »Erfüllungen der ältesten, stärksten, dringendsten Wünsche der Menschheit« (ebd., S. 352), und zwar in der Figur des Vaters, der Schutz versprach
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