Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert

Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert

Titel: Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
Vom Netzwerk:
Freuds Vorbilder betrifft, in die er sich einreihen wollte: Der Heliozentrismus ist kein von Kopernikus erdachter Mythos, und die Evolution der Arten hat Darwin sich nicht ausgedacht. Vielmehr sind beides wissenschaftliche Entdeckungen, die mit den jüdisch-christlichen Mythen vom geozentristischen Weltbild oder der Erschaffung des Menschen aufräumten. Die Wissenschaft ermöglicht die Überwindung des Mythos, sie macht ihn obsolet. Der Mythos seinerseits verschmäht die Wissenschaft, er spricht zu den Dichtern, Rednern und Zauberern.
    Was also könnte ein »wissenschaftlicher Mythos« sein? Es muss sich dabei um reine Fiktion handeln, um ein Märchen im Sinne von »Märchen erzählen«, was einerseits Lügen bedeutet und andererseits Geschichten für Kinder bezeichnet. In Massenpsychologie und Ich-Analyse griff Freud eine Kritik an Totem und Tabu auf in der Absicht, den Verfasser Lügen zu strafen. Der amerikanische Kritiker Robert Ranulph Marrett hielt Freuds These von der Tötung des Vaters, des Stammesführers der Urhorde, und dem anschließenden Verzehr von dessen Körper durch seine Söhne für »nur eine Geschichte«, anders gesagt »einfach nur eine Geschichte«, also eine mögliche Version.
    Als Freud sich auf diese »Geschichte« – in anderen Worten: einen »wissenschaftlichen Mythos« – bezog, zitierte er den Namen Kröger, obwohl es sich tatsächlich um Kröber handelte. Es wäre
grausam, hier daran zu erinnern, dass das Vergessen oder Falschschreiben von Eigennamen ein ganzes Kapitel in Psychopathologie des Alltagslebens einnimmt und dass derlei Fehlleistungen direkt auf das Unbewusste dessen verweisen, dem sie unterlaufen. Außerdem täuschte sich Freud, denn der Vorwurf stammte nicht von Kröger/Kröber, sondern von Robert Ranulph Marrett. Freud schrieb den Namen also falsch und verwechselte ihn dann auch noch! Zwei Fehlleistungen sind mehr wert als eine.
     
    Freuds »wissenschaftlicher Mythos« entstand ganz in seiner Bibliothek, so wie auch Marcel Mauss nie sein Büro in Paris oder seinen Lehrstuhl am Collège de France verließ und dennoch über polynesische Riten, Tauschbeziehungen auf Samoa, melanesische Gaben, die Bedeutung des Geschenks bei den Maori, den Todesbegriff australischer und neuseeländischer Ureinwohner, die Bestattungsriten der Eskimos und die orientalischen Sprachen schrieb. Freud produzierte in gleicher Manier eine große Untersuchung über die australischen Aborigines in seinem gut geheizten Büro in der Wiener Berggasse 19.
    Der Untertitel von Totem und Tabu lautet Einige Übereinstimmungen im Seelenleben der Wilden und der Neurotiker. Mit diesem Buch begann die seltsame und tragische Gleichsetzung des Wilden, Primitiven mit dem Kranken, Neurotischen (worauf die Ausdehnung der Theorie auf alle Menschen folgte). Eine von Freuds seltsamsten Perversionen bestand im Verwischen aller Grenzen zwischen dem Normalen und dem Pathologischen – nachvollziehbar bei jemandem, der so schnell wie möglich normal werden wollte.
    Freud ging davon aus, sich über die Untersuchung der Psyche der Urvölker von 1900 das Seelenleben der Höhlenmenschen und damit des Menschen an sich erschließen zu können. Deutlicher kann man kaum bekunden, dass man von der Geschichte, der Evolution und der konkreten – und sei sie auch psychischen  – Realität nicht viel hält: Die Seele scheint bei Freud in
einem unwirklichen, leeren Raum zu schweben, unergründlich und ohne Wurzeln in der realen Welt, als existiere sie nur in der reinen Welt der Ideen und werde von den Trivialitäten des Lebens nicht berührt. Freud glaubte also weniger an die Realität der Geschichte als an die Realität der Essenz. Im Jahrhundert der Geschichtswissenschaft konnte man wohl keine essentialistischere  – um nicht zu sagen platonischere – Haltung einnehmen. Doch Freud war ja erklärtermaßen ausgezogen, einen Mythos zu finden.
    Die primitive Welt stellte er sich so vor: Es gab keine Gebäude, keine Landwirtschaft, kein Geschirr, keine Tierzucht. Die Menschen jagten, sammelten Wurzeln und Beeren. Sie kannten weder Stammesführer noch Könige, verehrten weder Götter noch andere Kräfte. Die Aborigines waren Kannibalen. Doch wie konnte es in einer solchen, von moralischen Fragen völlig unbelasteten Welt, die verdächtig an Rousseaus idealen Naturzustand erinnert, zum Inzestverbot kommen?
    Diese gottlosen Menschen praktizierten den Totemismus. Er besagte, dass jedem Menschen ein Tier oder eine Pflanze entsprach,

Weitere Kostenlose Bücher