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Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert

Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert

Titel: Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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und behandelt werden, doch wie sollte eine Kollektivdiagnose aussehen? Oder gar eine Massentherapie? Freud schloss mit dem Hinweis, hier bedürfte es einer eigenen Lehre.
    Am Ende des Buchs zeigte er sich erneut pessimistisch. Mit dem technischen Fortschritt verfügten die Menschen nun über die Mittel zur Selbstzerstörung. (Und damals gab es noch keine Atombombe!) So lebten die Menschen in Angst und Sorge. Eros und Thanatos stünden einander in einem Kampf der Titanen gegenüber. Der Vatermord habe zwar das Über-Ich geschaffen, aber die instinktive Gewalt bedrohe – mit Unterstützung der modernen Technologie – unseren Planeten. Freud schrieb dies 1929; der Erste Weltkrieg lag noch nicht lange zurück. In seinen letzten Lebensjahren schienen der aufkommende Nationalsozialismus und die Aussicht auf einen Zweiten Weltkrieg seine These von der Entfesselung des Es ohne Kontrolle durch das Über-Ich zu bestätigen.
    Das dritte Werk Freuds, das sich mit dem Vatermord befasst, ist Der Mann Moses und die monotheistische Religion. Es erschien 1939, in Freuds Todesjahr. 1912 hatte er in Totem und Tabu den Zusammenhang zwischen dem sexuellen Monopol des Vaters auf die Frauen des Stammes, der Frustration der Söhne, dem Vatermord und -verzehr, der Reue und der Konstruktion des Verbots sowie der Entstehung der Gesellschaft erläutert. 1927 dekonstruierte er in Die Zukunft einer Illusion die Religion und präsentierte sie als Zwangsneurose, in deren Epizentrum Gott als Übervater und Ausgangspunkt der Moral stehe – ein Mythos, den es durch Freuds »wissenschaftlichen Mythos« vom Ödipuskomplex zu ersetzen gelte. 1930 trat in Das Unbehagen in der Kultur das Über-Ich auf den Plan und bezeugte, wie wir innerlich vom Vatermord und von den daraus resultierenden Verboten wie
Gesetzen, Moral und Tugenden bestimmt seien. Der Mann Moses und die monotheistische Religion von 1939 schließlich war ganz und gar vom Thema Vatermord besetzt. Freud entwickelte hier eine These, der man Antisemitismus unterstellen könnte, wäre sie von einem Goi, nämlich: Moses sei nicht Jude, sondern Ägypter gewesen. Das war Mord am Vater der Juden, am Vater des eigenen Vaters Jakob, am Vater seines Volkes. Weiter konnte er kaum gehen.
    Im Dezember 1930 schrieb Freud im Vorwort zur hebräischen Ausgabe von Totem und Tabu, er sei einer, »der die heilige Sprache nicht versteht, der väterlichen Religion – wie jeder anderen  – völlig entfremdet ist, an nationalistischen Idealen nicht teilnehmen kann und doch die Zugehörigkeit zu seinem Volk nie verleugnet hat, seine Eigenart als jüdisch empfindet und sie nicht anders wünscht.« (Vorrede zur hebräischen Ausgabe von Totem und Tabu, Bd. XIV, S. 569) Er fuhr fort, in der dritten Person von sich zu sprechen: »Fragte man ihn: Was ist an dir noch jüdisch, wenn du alle diese Gemeinsamkeiten mit deinen Volksgenossen aufgegeben hast?, so würde er antworten: Noch sehr viel, wahrscheinlich die Hauptsache. Aber dieses Wesentliche könnte er gegenwärtig nicht in klare Worte fassen. Es wird sicherlich später einmal wissenschaftlicher Einsicht zugänglich sein.« (ebd.) Welche Schlüsse können wir aus diesen kurzen Passagen ziehen? Freud behauptete, Hebräisch nicht lesen zu können, obwohl er es auf dem Gymnasium von einem Lehrer gelernt hatte, der ihn so nachhaltig beeindruckt hatte, dass er sogar eine seiner Töchter nach einer Nichte des Lehrers Sophie nannte. Er bekannte, mit der väterlichen Religion gänzlich gebrochen zu haben. Tatsächlich praktizierte er zu Hause keine religiösen Rituale, hatte dies auch seiner frommen Frau verboten, die nach seinem Tod die religiöse Praxis wiederaufnahm; er bekundete offen seinen Atheismus und bekannte, nicht das Nationalstreben der Zionisten zu teilen. Doch er fühlte sich ganz und gar jüdisch und wünschte sich keine andere Identität.

    Das Erstaunlichste an diesem seltsamen Glaubensbekenntnis ist, dass er – kaum hatte er alle äußeren Zeichen der Zugehörigkeit hinter sich gelassen – das Judentum als seinen tiefsten Kern für sich beanspruchte und dann mysteriös auf die Zukunft und auf den wissenschaftlichen Fortschritt verwies, der das für ihn unlösbare Problem beheben sollte. Welche Wissenschaft könnte beweisen, dass das Jüdischsein sich im Inneren befindet und möglicherweise erkennbar ist? Eine Art Genetik? Ging es um ein Juden-Gen? Ich glaube kaum, dass Freud einem derartigen Gedanken zugestimmt hätte. Oder meinte er eine

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