Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
zu begehen. In der denkbar schlimmsten historischen Situation, als die nationalsozialistische Feuersbrunst in Europa tobte, griff Freud die Religion seines Vaters und dessen Vorfahren, seiner Mutter, seiner Frau und seiner Kinder an; jene Religion, der nach der Machtergreifung der Nazis im Januar 1933 so viel Unrecht angetan wurde – von dem
Judenhass, der seit dem 19. Jahrhundert um sich gegriffen hatte, ganz zu schweigen.
Die Nazis errichteten Konzentrationslager, machten die Juden erst zu Bürgern zweiter Klasse und später zu Untermenschen, quälten und verfolgten sie erbarmungslos. Diese Gräuel waren natürlich auch Freud bekannt, der sich stets auf sein Jüdischsein berief, aber nie etwas gegen Hitler, den Nationalsozialismus oder die antisemitische Barbarei schrieb, während er doch ohne zu zögern lange Traktate gegen Kommunismus, Marxismus, Bolschewismus und die marxistisch-leninistische Sowjetunion verfasste. Freud verübte sein Attentat auf Moses also in einem extrem antisemitischen Kontext.
Welcher Argumentation folgt er in diesem Buch, das, wäre es von jemand anderem geschrieben, durchaus als antisemitisches Werk durchgehen könnte? Erstens: Entgegen dem Mythos sei Moses nicht Jude, sondern Ägypter gewesen, was an der Etymologie seines Familiennamens abzulesen sei. Zweitens: Die Beschneidung sei viel älter als das Judentum, denn schon die Pharaonen hätten sie praktiziert. Drittens: Die jüdische Religion sei nicht jüdisch, weil sie sich direkt aus dem ägyptischen Monotheismus des Pharaos Echnaton entwickelt habe. Viertens: Die jüdische Gesellschaft sei der ägyptischen unterlegen. Und schließlich fünftens: Das Judentum sei die Religion des Vaters.
Ein Jahr nach Hitlers Machtergreifung und mitten im Naziterror schrieb Freud: »Man darf von einem Charakterzug der Juden ausgehen, der ihr Verhältnis zu den anderen beherrscht. Es ist kein Zweifel daran, sie haben eine besonders hohe Meinung von sich, halten sich für vornehmer, höher stehend, den anderen überlegen« (ebd., S. 212). Und er nannte auch den Grund dafür: »Es war der eine Mann Moses, der die Juden geschaffen hat.« (ebd., S. 213) Und zwar indem er den Juden erklärte, sie seien von Gott selbst auserwählt worden. Daraus hätten sie eine Stärke und ein Selbstvertrauen abgeleitet, das bei anderen Völkern, namentlich den Christen, Ressentiments ausgelöst und letztlich zum Antisemitismus
geführt habe. Hier finden wir also auch Freuds These vom Lieblingssohn wieder!
In Freuds Argumentation ist eine Kausalität zwischen den Worten des Vaters, der den Lieblingssohn erwählt, und dem Hass der abseits stehenden Söhne auf den Auserwählten erkennbar. So erscheint der Antisemitismus in einer eigentümlichen Umkehrung als ein von dem Juden Moses selbst geschaffenes Phänomen. Dass ein derartiger Gedanke aus Freuds Feder stammen könnte, ist kaum vorstellbar. Und doch ist es so.
Freud griff hier erneut auf seine Theorie der Urhorde, des Vatermords, des Kannibalismus und der Entstehung der Gesetze zurück. Die von den Juden praktizierte Beschneidung werde von den Christen oder Nichtjuden als Kastrationsdrohung wahrgenommen und erinnere diese an die Verdrängung des »wissenschaftlichen Mythos« am Ursprung der Menschheitsgeschichte. Zwar sei die Angst vor der Entmannung verdrängt, doch über die phylogenetische Vererbung sei sie nach wie vor in der Psyche verankert. Diese archaische Angst bilde die Matrize für den Antisemitismus. Wenn Freud recht hat, führt dieses seltsame Buch eine neue Variante des viel zitierten »jüdischen Selbsthasses« vor, den Theodor Lessing bekannt machte.
Weshalb ermordete Freud einerseits den Vater in Gestalt Moses’ und hob andererseits die Ägypter so heraus? Die Juden waren für ihn nur ein ägyptisches Volk im Exil; die jüdische Geschichte war ein Anhängsel der ägyptischen, die jüdische Gesellschaft ein Abklatsch der ägyptischen und die jüdische Religion im Grunde die Religion eines monotheistischen Pharaos. Und Moses, der erste Jude, der Begründer des jüdischen Volkes? Er war für Freud nur ein stotternder Ägypter. Und die Beschneidung sei schon an ägyptischen Mumien nachgewiesen worden.
Die besondere Vorliebe des Erfinders der Psychoanalyse für ägyptische Antiquitäten ist weithin bekannt. Charcot, den Freud zeitweilig wie einen Gott verehrte, hatte eine Antiquitätensammlung
in seinem Büro. Zu besonderen Anlässen schenkten ihm Freunde und auch einige Patienten neue Stücke.
Weitere Kostenlose Bücher