Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert
Er kaufte zudem regelmäßig neue Objekte, die er weniger nach ästhetischen als nach symbolischen Kriterien auswählte. Manchmal platzierte er eine Neuerwerbung während der Mahlzeiten auf der Tischdecke, als handelte es sich um einen Ehrengast.
Ägypten war für Freud ein anti-jüdisch-christlicher Archetyp, eine Art Gegen-Rom. Denn in der neutestamentarischen christlichen Tradition war der Inzest formal verboten. Die Mutter ist Jungfrau, der Vater schwängert sie ohne Geschlechtsakt, der Sohn wird durch den Heiligen Geist empfangen, das Sperma durch eine Taube ersetzt; der Körper des Sohnes ist unsinnlich und unmännlich, er isst und trinkt nicht – außer symbolisch –, er hat keinen Geschlechtsverkehr und ersteht drei Tage nach seinem Tod wieder auf. Eine derartige Religion des Sohnes missfiel natürlich einem Freud, der letztlich sein eigener Vater sein wollte.
Ägypten stand dagegen für einen geografischen und geistigen Raum, in dem der Inzest praktiziert werden konnte. In Der Mann Moses und die monotheistische Religion behandelte Freud genau dieses Thema: »Was angeblich unsere heiligsten Gefühle beleidigt, war in den Herrscherfamilien der alten Ägypter und anderer frühen Völker allgemeine Sitte, man möchte sagen geheiligter Brauch.« (Bd. XVI, S. 228) Schöne Zeiten für die Libido! Weiter erklärte er, dass »ja auch die Welt der griechischen und der germanischen Sage keinen Anstoß an solchen inzestuösen Beziehungen nahm.« (ebd., S. 229) Freuds Antikensammlung bezeugt, wie sehr er sich nach diesem goldenen Zeitalter gesehnt haben muss.
Erinnern wir uns auch an die Kreislaufbeschwerden, die Freud an seinem fünfzigstem Geburtstag ereilten, als ihm die Medaille mit der Sphinx auf der einen und seinem Porträt auf der anderen Seite geschenkt wurde. Das Fabeltier stammte eigentlich aus Ägypten und gelangte dann über Assyrien in Ödipus’ Griechenland. Freuds Antikensammlung enthielt auch assyrische Stücke.
Nach der griechischen Mythologie schickte Hera, die Göttin
der Heirat, die Sphinx als Strafe zu Laios, der nebenbei bemerkt Ödipus’ Vater war. Grund für die Strafe war, dass Ödipus’ Vater dem jungen Chrysippos Gewalt angetan und dabei die Päderastie erfunden hatte. Dieses Detail ist wichtig, wenn man Freuds Theorie der Verführung verstehen will. Laios weigerte sich jedenfalls, mit seiner Ehefrau ein Kind zu zeugen. Für Freud war dies ein ideales Schema, glaubte er doch lange Zeit, Väter – auch seiner – missbrauchten ihre Kinder. Der besondere Reiz dieser Fantasie bestand darin, dass sein Vater sich seiner Mutter verweigerte, die er selbst als Kind begehrt hatte.
Gleich zu Anfang seines Moses-Buchs bekannte Freud Farbe. Dass die Juden ihm vorwarfen, er tue ihnen unrecht (und zwar in einer Zeit, in der sie systematisch ermordet wurden), hielt er für trivial; er wandte sich lieber direkt seiner Mission zu: »Einem Volkstum den Mann abzusprechen, den es als den größten unter seinen Söhnen rühmt, ist nichts, was man gern oder leichthin unternehmen wird, zumal wenn man selbst diesem Volke angehört. Aber man wird sich durch kein Beispiel bewegen lassen, die Wahrheit zugunsten vermeintlicher nationaler Interessen zurückzusetzen.« (ebd., S. 103) So lauten die ersten Zeilen dieses Texts, der durchaus als autobiographisches Pamphlet durchgehen könnte.
Freud machte sich den Moses-Mythos zu eigen und projizierte seine Fantasien auf ihn. Der Mythos, den Freud dekonstruierte, lässt sich ungefähr so beschreiben: Moses wurde in eine hochgestellte Familie hineingeboren und ausgesetzt. Seine Geburt stand unter schlechten Vorzeichen wie Enthaltsamkeit, Unfruchtbarkeit und Verboten. Während der Schwangerschaft kündeten Träume und Orakel von einem Unglück, welches das Kind mit sich bringen würde. So entschied der Vater, es auszusetzen und zu töten. Doch das Kind wurde von armen Leuten gefunden und großgezogen. Als Erwachsener fand Moses seine Eltern wieder und rächte sich am Vater. Danach gelangte er zu Ruhm und Ehren. Freud
verglich die beiden Helden Ödipus und Moses und schrieb mit entwaffnender Ehrlichkeit: »Ein Held ist, wer sich mutig gegen seinen Vater erhoben und ihn am Ende siegreich überwunden hat.« (ebd., S. 108)
Gemäß der Logik seines »wissenschaftlichen Mythos« vertrat Freud die These von »Erinnerungsspuren« (ebd., S. 206), die von Generation zu Generation übermittelt würden. Der symbolische Gebrauch der Sprache, der Vatermord und der
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