Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert

Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert

Titel: Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
Vom Netzwerk:
sein Vater mit Amalia gehabt hatte. Drückte sich hier der Wunsch aus, an die Stelle des Vaters zu treten und mit der Mutter zu schlafen? Jedenfalls konnte man dem kleinen Mädchen, das kein Wunschkind und zugleich ein Nachzügler war, das im Zeichen der Anonymität oder der Hysterie – wenn nicht gar der Inzestfantasie – geboren wurde, ohne Mühe eine düstere Zukunft vorhersagen.
    Im Lichte der Tragödie König Ödipus betrachtet – die für Freud eine Art Lebensschema bildete –, erfüllte Anna die Prophezeiung, die der Sohn von Laios und Iokaste verkündete, nachdem er mit seiner Mutter geschlafen und seinen Vater getötet hatte: »Doch wenn ihr nun zum Gipfel kommt der Hochzeit,/ Wer wird es sein? wer wirft hinweg die Kinder,/ Nimmt an den Schimpf und so, wie meinen Eltern/ Und euch sie kommen, die Beleidigungen?« Und weiter: »So seid ihr beschimpft./ Und so, wer mag euch freien? keiner wird’s,/ Ihr Kinder, sondern sicher ist es, dürre/ Vergehen müsset ihr und ohne Hochzeit.« (Sophokles, König Ödipus, V. Akt) Anna gehorchte: Als sie ins heiratsfähige Alter kam, machte ihr kein Mann den Hof, sie heiratete nicht und starb – sehr wahrscheinlich als Jungfrau – ohne Nachwuchs. Von Beruf war sie Kinderpsychoanalytikerin.
    Als Anna dreizehn oder vierzehn Jahre alt war, begann Freud, sie zu den Sitzungen der Psychoanalytischen Vereinigung mitzunehmen. Angesichts der Protokolle der Sitzungen, an denen Anna teilgenommen haben könnte, kann man nur staunen, dass ein Vater seine Tochter möglicherweise derartigen Themen ausgesetzt hat. Es ging um anale Sexualität, Inzest, hysterische Verwirrung, Libidoprobleme, sexuelle Perversionen, schädliche Auswirkungen des Onanierens und Masochismus bei Kindern. Einiges davon mochte sie begriffen haben, anderes entzog sich wohl dem Verständnis des vorpubertären oder gerade pubertierenden Mädchens. Man muss sich fragen, was in Freud vorging, als er seine jüngste Tochter zu Sitzungen erwachsener Fachleute über die dunklen Bereiche der Sexualität mitnahm.

    Ist es verwunderlich, dass das Mädchen an Anorexie litt? Hier muss man kein Fachmann oder gar Kinderpsychoanalytiker sein. Ihr Vater fand sie zu mager und viel zu streng mit sich selbst. Er beschloss, sie solle mit ihrer Tante Minna acht Monate – fast eine Schwangerschaft lang – in Italien verbringen, um gesund zu werden und zuzunehmen. Doch dann verlobte sich ihre Schwester Sophie, und die Reise musste deshalb ausfallen. Der wahre Grund bleibt unklar. Und ein weiteres Rätsel wird ungelöst bleiben, zumindest bis eines Tages ein in amerikanischen Archiven lagernder Briefwechsel eingesehen werden kann: Anna durfte nicht an der Verlobungsfeier teilnehmen. Ihr Vater schrieb ihr am 13. Dezember 1912: »Die Zeremonie kann ganz gut ohne Dich vor sich gehen, eigentlich auch ohne Gäste, Gesellschaft usw., woran Dir eigentlich nichts liegt.« (Freud/Anna Freud, Briefwechsel, S. 93)
    Wir haben keinen Brief, der uns Freuds tatsächliches Motiv verraten könnte. Aber es gibt eine Spur in seinem Brief an Ferenczi vom 20. Juli 1912. Demnach hing das Ereignis mit einem Thema zusammen, an dem Freud gerade arbeitete und bei dem es um die drei Töchter von König Lear ging. Doch was hat Shakespeares Stück mit Freuds familiären Verwicklungen zu tun? König Lear wollte sein Königreich gerecht unter seinen drei Töchtern Goneril, Regan und Cordelia aufteilen. Auch Freud hatte drei Töchter: Mathilde, Sophie und Anna. Zur Teilung des Reiches veranstaltet Lear eine Zeremonie, bei der er jede Tochter bat, ihm ihre Liebe zu bekunden. Die beiden Älteren schmeicheln ihm nach Kräften, doch die Jüngste hält sich zurück, obwohl sie ihren Vater herzlich liebt. Der enttäuschte Lear enterbt sie und verjagt sie vom Hof. Nach einiger Zeit bemerkt er die List seiner älteren Töchter. Verrückt vor Schmerz verlässt er den Königshof und findet nach langem Irrweg zu Cordelia.
    Auch der zweite Handlungsstrang des Stücks könnte Freud gefallen haben: Der Graf von Gloucester hat zwei Söhne. Einer ist unehelich und redet seinem Vater ein, der Halbbruder plane ein Komplott gegen ihn. Mit dieser Lüge will er sich das Erbe sichern,
auf das er als Bastard keinen Anspruch hat. Gloucester gerät in Gefangenschaft und verliert dort sein Augenlicht – muss man eigens erwähnen, dass der blinde Gloucester an Ödipus erinnert? Schließlich siegt der eheliche Sohn im Duell. Nach vielen Missverständnissen und Verwicklungen kann

Weitere Kostenlose Bücher