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Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert

Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert

Titel: Anti Freud - die Psychoanalyse wird entzaubert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Vater war Anna/ Cordelia also die dritte Erscheinungsform der Mutter. Amalia, Martha und Anna vereinten sich in ein und derselben Tragödie, die sehr zur Freude des Vaters von dessen jüngster Tochter symbolisiert wurde.
     
    Ungeachtet der von Freud selbst in Ratschläge für den Arzt bei der psychoanalytischen Behandlung vorgegebenen Deontologie, derzufolge der Analytiker niemals Familienmitglieder oder andere ihm nahe stehende Personen behandeln sollte, unterzog er seine Tochter zwischen 1918 und 1922 sowie erneut von 1924 bis 1929 einer Psychoanalyse. Die Therapie erstreckte sich also über neun Jahre, und das bei fünf bis sechs Sitzungen pro Woche! Traurig stimmt in diesem Zusammenhang eine Äußerung von Frau Freud, die Henri F. Ellenberger in Die Entdeckung des Unbewußten wiedergibt, nämlich dass die Psychoanalyse an der Tür zum Kinderzimmer halt mache. Doch unter ihrem Dach geschah so vieles, das für sie unvorstellbar war.
    Tatsächlich ist nicht sicher, ob Freuds Ehefrau darüber Bescheid wusste, dass ihre Tochter Anna fast zehn Jahre auf der Couch ihres Vaters von ihren sexuellen Fantasien, existentiellen Ängsten, Libidoproblemen, Sorgen, von ihrem Intimleben, ihrer fehlenden Sexualität, ihren Kindheitserinnerungen an Vater, Mutter und Geschwister, ihrem Wunsch nach Vereinigung mit dem
Vater und der Vertreibung der Mutter oder ihre durch Medikamente beeinflussten Monatsblutungen sprach.
    Martha Freud war unsichtbar und unterwürfig, diskret und still; sie war ganz ihrem Mann zu Diensten und hielt doch nicht viel von der Psychoanalyse im Allgemeinen und der Arbeit ihres Mannes im Besonderen. Der französische Psychoanalytiker René Laforgue hatte die Familie Freud in den zwanziger Jahren mehrfach besucht und berichtet, Frau Freud habe die Theorien ihres Mannes als eine Form der Pornographie bezeichnet. Die Wahrheit darüber, in welchem Maß diese Pornographie ihren Mann und ihre Tochter miteinander verband, wollte sie sicher nicht kennen.
    Dank einiger historischer Arbeiten wissen wir heute um so manches, das in Freuds Behandlungszimmer gesprochen wurde. 1919 veröffentlichte Freud einen Text, der explizit seine Tochter Anna betraf: Ein Kind wird geschlagen. Der Untertitel lautete: Beitrag zur Kenntnis der Entstehung sexueller Perversionen. Anna bestätigte auf ihre Weise das dort Berichtete, indem sie einen Text mit dem Titel Schlagephantasie und Tagtraum verfasste, der als Kontrapunkt zum Beitrag ihres Vaters gelesen werden muss. Der Artikel war als Vortrag vor der Psychoanalytischen Vereinigung am 31. Mai 1922 entstanden und wurde später zu jener theoretischen Übung, die einem Ritterschlag innerhalb der psychoanalytischen Bewegung gleichkam.
    Über Anna Freuds psychischen Zustand erfahren wir in Ein Kind wird geschlagen Erstaunliches. Freud schreibt hier über das Schlagen eines Kindes, das tatsächliche oder eingebildete Geschlagenwerden; darüber, Zeuge zu werden wenn ein Kind geschlagen wird, wer es schlägt und so fort. Es ist denkbar, dass diese Variationen auf ein und dasselbe Thema von Anna stammen. Freud beantwortete keine dieser Fragen. Schlimmer noch, er schrieb: »Aber gegenwärtig ist die theoretische Erkenntnis noch ungleich wichtiger für jeden von uns als der therapeutische Erfolg« ( Ein Kind wird geschlagen, Bd. XII, S. 202). Mit anderen
Worten: Es kommt nicht auf die Heilung an, sondern auf den wissenschaftlichen Fortschritt. Die Grausamkeit dieser Aussage ist umso erstaunlicher, als es um die eigene Tochter ging.
    Worin bestand Annas Problem? Sie stellte sich vor, wie ihr Vater sie schlug, konstruierte ihre Sexualität um diesen sadomasochistischen Wunsch herum und masturbierte zwanghaft. Diese Tatsache bildet das Epizentrum eines Texts, der so viele unangenehme Überlegungen enthält, dass der Blick auf seinen eigentlichen Gehalt verstellt wird. Auf der Couch des Vaters liegend, erzählte Anna, dass sie heftig masturbiere und sich dabei vorstelle, er schlage sie. Als Ursprung dieser Fantasien identifizierte Freud – wie immer – den Ödipuskomplex!
     
    Für Freud kam es nicht infrage, in historischen, biographischen oder der Vernunft folgenden psychologischen Kategorien zu denken. Seine These über den prähistorischen Vatermord und das kannibalische Festmahl enthob ihn der Pflicht, nach der eigenen Verantwortung für das zu fragen, was er selbst als die sexuellen Perversionen seiner Tochter bezeichnete. Die mythische Phylogenese kam ihm in diesem Zusammenhang gerade

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