Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
Philosophie. Ich habe in der Darstellung des Themas Schwarzer Schwan im achten Kapitel gezeigt, dass es dem Entscheidungsträger auf das Ergebnis, die Auswirkung von Handlungen ankommt (dass er also Asymmetrien und nichtlineare Effekte mit einbezieht). Für den Aristoteliker dagegen geht es um die Frage wahr oder falsch – mit anderen Worten, um blanke Logik. Beides hat weniger miteinander zu tun, als man zunächst vermuten würde.
Aristoteles ging von der falschen Annahme aus, das Wissen über ein Ereignis (die zukünftige Ernte oder der Mietpreis für Ölpressen, das, was in der horizontalen Achse auftaucht) und der daraus zu erzielende Gewinn (vertikal) seien ein und dasselbe. Aufgrund der Asymmetrie trifft das aber nicht zu, wie aus dem Diagramm klar ersichtlich wird. Fat Tony wird uns im vierzehnten Kapitel unmissverständlich klarmachen, dass »das zwei Paar Stiefel sind«.
Die Kunst, dumm zu sein
Wenn Sie »Optionen haben«, brauchen Sie nicht viel von dem, was gemeinhin als Intelligenz, Wissen, Einsicht, Erkenntnis bezeichnet wird – all diese komplizierten Sachen, die in den Hirnzellen stattfinden. Denn Sie müssen gar nicht allzu häufig recht haben. Sie brauchen lediglich die Weisheit, keine unintelligenten Dinge zu tun, mit denen Sie sich selbst verletzten könnten (bestimmte Unterlassungshandlungen); und die Weisheit, günstige Resultate, wenn sie sich ergeben, zu erkennen. (Entscheidend ist, dass Ihre Beurteilung der Situation nicht im Vorhinein stattfinden muss, sondern erst, wenn ein Resultat vorliegt.)
Diese Eigenschaft erlaubt es uns, dumm zu sein oder anders gesagt, mehr Ergebnisse zu erzielen, als es mit dem uns zur Verfügung stehenden Wissen möglich wäre. Ich bezeichne diese Eigenschaft zunächst einmal als »Stein der Weisen« oder »Konvexitäts-Bias«, das Ergebnis einer mathematischen Funktion namens Jensen’sche Ungleichung. Was es damit genau auf sich hat, werde ich in Buch V erläutern, wenn es um die theoretischen Details geht; hier genügt es zu wissen, dass die Evolution ganz ohne den Einsatz von Intelligenz erstaunlich komplexe Produkte hervorbringen kann, einfach nur durch eine Kombination aus Optionalität und Selektionsfilter plus einem gewissen Maß an Zufälligkeit.
Optionen in der Natur
Der große französische Biologie François Jacob führte in die Naturwissenschaft die Vorstellung der Option (oder optionsartiger Eigenschaften) in natürlichen Systemen ein, die auf Versuch und Irrtum beruhen. Er bezeichnete das Phänomen mit dem französischen Begriff bricolage. Bricolage ist eine Form von Versuch und Irrtum, die viel mit Optimierung und Feinjustierung zu tun hat – man versucht, mit dem zurechtzukommen, was man hat, und fügt Teile zu etwas zusammen, die ansonsten keine Verwendung finden würden.
Jacob wies nach, dass die Natur sogar schon im Mutterschoß anfängt zu selektieren: Etwa die Hälfte aller Embryos erleben eine spontane Abtreibung – das ist einfacher, als das perfekte Baby auf dem Reißbrett zu entwerfen. Die Natur behält, was ihr gelegen kommt, wenn es ihren Standards entspricht, und handelt gewissermaßen nach dem kalifornischen Leitspruch »Scheitere früh« – sie hat eine Option und macht von ihr Gebrauch. Die Natur versteht Optionalitätseffekte weitaus besser als wir Menschen und mit Sicherheit besser als Aristoteles.
In der Natur ist die Ausnutzung von Optionalität oberstes Prinzip; daran lässt sich sehr klar zeigen, dass Optionalität als Ersatz für Intelligenz fungieren kann. 43
Die Erzielung kleiner Irrtümer und großer Erträge bezeichne ich als Tüfteln im Stil von Versuch und Irrtum. Auf den Begriff, der eine solche positive Asymmetrie präziser bezeichnet, nämlich auf Konvexität, gehe ich im achtzehnten Kapitel ein. 44
Abbildung 6. Der Mechanismus optionalen Versuchs und Irrtums (das Modell »Frühes Scheitern«), alternative Bezeichnung: konvexes Tüfteln. Fehler verursachen geringe Kosten, Verlustmaximum ist bekannt, potentieller Ertrag groß (unbegrenzt). Zentrales Merkmal eines positiven Schwarzen Schwans: Der Gewinn ist (im Unterschied zu einem Lotterielos) unbegrenzt, oder besser gesagt die Obergrenze ist nicht bekannt; die Verluste aus Irrtümern hingegen sind begrenzt und bekannt.
Das Diagramm in Abbildung 7 illustriert die kalifornische Leitvorstellung, die Steve Jobs in einer berühmten Rede mit den Worten: »Bleibt hungrig, bleibt verrückt« umriss. Wahrscheinlich meinte er: »Seid verrückt, aber haltet
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