Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
versucht uns davon zu überzeugen, dass es nicht vernünftig ist, Optionen zu besitzen, da einige Optionen überteuert sind, und sie werden auf der Grundlage von Business-School-Methoden für überteuert erachtet, die nicht mit der Möglichkeit von seltenen Ereignissen rechnen. Außerdem beschwören Wissenschaftler ein Phänomen herauf, das als »longshot bias« oder Lotterieeffekt bezeichnet wird, für das Menschen finanziell bis an die Grenze gehen und beim Glücksspiel in Casinos oder anderswo spekulative Wetten auf Außenseiter abschließen und dabei letztlich zu viel bezahlen. Selbstverständlich sind diese Erkenntnisse nichts als in Wissenschaftlichkeit gewandeter Scharlatanismus, formuliert von Leuten, für die im Triffat-Stil das Thema Risiko nur im Zusammenhang mit Casinos eine Rolle spielt. Wie andere wirtschaftswissenschaftliche Abhandlungen über Unsicherheit kranken sie daran, dass sie die Zufälligkeit des Lebens mit der überschaubaren, handhabbaren Zufälligkeit verwechseln, die für Casinos typisch ist. Ich bezeichne das als »ludische Verzerrung« (nach ludes , dem lateinischen Wort für »Spiel«); es handelt sich um denselben Fehler, der bereits im Zusammenhang mit dem Blackjack-Typen im siebten Kapitel auftauchte. Sämtliche Wetten auf seltene Ereignisse aufgrund des Umstands zu kritisieren, dass Lotterielose überteuert sind, ist genauso töricht, als würde man jegliche Form von Risikobereitschaft aufgrund des Umstands abqualifizieren, dass Casinos auf lange Sicht mit Glücksspielern Geld verdienen, und den Umstand völlig aus dem Auge verlieren, dass es uns ausschließlich um die Risiken außerhalb der Casinos geht. Hinzu kommt, dass Wetten in Casinos und Lotterielose eine bekannte Obergrenze haben – im wirklichen Leben ist die Grenze oft nach oben offen, und der Unterschied zwischen beidem kann erheblich ausfallen.
Risikobereitschaft ist kein Glücksspiel, und Optionalität ist kein Lotterielos.
Darüber hinaus sind die Argumente für spekulative Wetten (»longshots«) aberwitzig selektiv. Erstellt man eine Liste der Geschäftszweige, die historisch am meisten zur Vermehrung des Wohlstands in den USA beigetragen haben, wird man feststellen, dass jeder von ihnen über Optionalität verfügte. Verwerflich ist die Optionalität derjenigen, die von anderen Menschen und vom Steuerzahler Optionen stehlen (wie wir in Buch VII sehen werden), beispielsweise Firmenbosse, die die Vorteile genießen, ohne die Nachteile mitzutragen. Die bedeutendsten Wohlstandsgeneratoren in den USA waren historisch gesehen erstens der Immobiliensektor (Investoren haben eine Option auf Kosten der Banken) und zweitens der Technologiesektor (der fast ausschließlich auf Versuch und Irrtum beruht). Außerdem blicken Geschäftszweige mit negativer Optionalität (die also keine Optionalität haben) wie etwa Banken auf eine eher abschreckende historische Leistungsbilanz zurück: Banken verlieren in Zusammenbrüchen periodisch immer wieder jeden Penny, den sie im Lauf ihrer Geschichte verdient haben.
Allerdings wird all das völlig in den Schatten gestellt von der Rolle der Optionalität in den beiden großen Evolutionen: der natürlichen und der wissenschaftlich-technischen Evolution. Letztere soll in diesem Buch IV genauer unter die Lupe genommen werden.
Die Vorliebe der römischen Politik für Optionalität
Selbst politische Systeme gehen nach einer Art rationalen Tüftelns vor, wenn die Menschen so vernünftig sind, sich für die bessere Option zu entscheiden: Das politische System der Römer beruhte auf Tüfteln, nicht auf »Vernunft«. Polybios vergleicht den griechischen Gesetzgeber Lykurg, der sein politisches System »unbelehrt durch Widrigkeiten« konstruierte, mit den eher empirisch vorgehenden Römern, die wenige Jahrhunderte später ihre Verfassung »nicht aufgrund irgendwelcher rationaler Prozesse errichtet haben (meine Hervorhebung), sondern mit Hilfe der in vielen Kämpfen und Fehlschlägen erworbenen Disziplin; immer entschieden sie sich im Licht der Erfahrungen, die sie in schlimmen Situationen gesammelt hatten, für das Beste«.
Ich fasse zusammen. Im zehnten Kapitel ging es um die fundamentale Asymmetrie in Senecas Ideen: mehr Vorteile als Nachteile und umgekehrt. Das wurde in diesem Kapitel differenziert; ich habe außerdem die Manifestation einer solchen Asymmetrie in Form einer Option vorgestellt, bei der es einem freisteht, sich der Vorteile zu bedienen, ohne mit Nachteilen rechnen zu müssen.
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