Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
dass die intellektuelle Nähe der Beziehung vorausging und nicht umgekehrt. Was mich argwöhnisch werden lässt hinsichtlich der Lehrer-Schüler-Beziehungen, die man aus der Kulturgeschichte kennt: Womöglich waren diejenigen, die als Schüler eines Denkers bezeichnet werden, gar nicht im engeren Sinn dessen Schüler, sondern vertraten einfach nur denselben Standpunkt.
Rosinenpicken oder: Der Bestätigungsfehler
Sie kennen die Broschüren, mit denen Touristengebiete ihre Vorzüge anpreisen: Man kann davon ausgehen, dass die Fotos sehr, sehr viel besser aussehen als alles, was man vor Ort dann antrifft. Die Verzerrung, der Unterschied (den der Betrachter mit Hilfe seines gesunden Menschenverstands durchaus erkennt) kann bestimmt werden als Differenz zwischen der Region, wie sie in einem Werbeprospekt dargestellt wird, und der Region, die der Tourist dann mit eigenen Augen sieht . Der Unterschied kann klein oder auch beträchtlich sein. Ähnlich gehen wir bei Dingen des täglichen Bedarfs vor, indem wir den Versprechungen der Werbung kein allzu großes Vertrauen entgegenbringen.
Ganz anders in den Naturwissenschaften, in der Medizin, in der Mathematik; hier versagt unser kritischer Blick, und zwar aus demselben Grund, aus dem wir auch iatrogene Effekte übersehen. Wir sind gerade da Dummköpfe, wo es um kompliziertere Wissensgebiete geht.
In der institutionalisierten Forschung kann man selektiv die Fakten offenlegen, die die eigene Geschichte bestätigen, ohne die widersprechenden oder nicht passenden Fakten zu liefern. Die öffentliche Wahrnehmung der Wissenschaft wird also dahingehend verbogen, dass die Öffentlichkeit gar nicht anders kann, als an die Notwendigkeit der hoch konzeptualisierten, klaren, entschlackten, harvardisierten Methoden zu glauben. Die statistische Forschung wird nicht selten geschädigt durch diese Einseitigkeit – ein weiterer Grund, warum man der Falsifikation mehr trauen sollte als der Bestätigung.
Die akademische Forschung ist also hervorragend dazu in der Lage, uns zu erzählen, was sie für uns getan hat; das unter den Tisch fallen zu lassen, was sie unterlassen hat; und so zu belegen, wie unentbehrlich ihre Methoden sind. Das gilt für vieles im Leben. Trader reden über ihre Erfolge, sodass man zu der Annahme verführt wird, sie seien intelligent – die Fehlschläge bekommt man nicht zu sehen. Und was die institutionalisierte Wissenschaft angeht: Vor wenigen Jahren besuchte der große anglo-libanesische Mathematiker Michael Atiyah (bekannt für seine Stringtheorie) New York, um Fördermittel für ein Mathematik-Forschungszentrum im Libanon einzuwerben. In seiner Ansprache zählte er beispielhaft Fälle auf, in denen die Mathematik für die Gesellschaft und das moderne Leben nützliche Beiträge geliefert hatte, etwa für die Konstruktion von Ampelanlagen. Schön und gut. Aber wie steht es mit den Bereichen, in denen Mathematik uns in Katastrophen gestürzt hat (wie etwa in der Wirtschaft und im Finanzwesen, wo sie das System in seinen Grundfesten erschütterte)? Und wie sieht es mit den Bereichen außerhalb der Reichweite der Mathematik aus? Mir kam damals spontan ein anderes Projekt in den Sinn: ein Katalog der Fälle, in denen es der Mathematik nicht gelang, zu sinnvollen Resultaten zu kommen, und sie stattdessen Schaden angerichtet hat.
Rosinenpicker verfügen über Optionen: Wer eine Geschichte erzählt (und veröffentlicht), ist in der günstigen Situation, die bestätigenden Beispiele vorführen und den Rest ignorieren zu können – und je volatiler und breiter gestreut die Daten sind, desto glänzender wird die beste Geschichte ausfallen (und desto düsterer die schlimmste). Wer über Optionen verfügt, über das Recht zu entscheiden, was er weitergibt, wird nur das erzählen, was seinem Zweck dient. Man bedient sich der Vorteile der Geschichte und verbirgt die Nachteile, nur das Sensationelle kommt zum Tragen.
Die reale Welt ist auf die Intelligenz der Antifragilität angewiesen, was allerdings keine Universität schlucken würde – ebenso wie Interventionisten nie akzeptieren würden, dass etwas ohne ihre Intervention besser werden kann. Ich komme zurück zu der Vorstellung, Universitäten würden in einer Gesellschaft zu Wohlstand und einem Wachstum nützlichen Wissens beitragen. Dabei handelt es sich um eine kausale Illusion. Zeit, sie zu zerstören.
46 Ist Demokratie ein Epiphänomen? Angeblich funktioniert Demokratie aufgrund der hochheiligen rationalen
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