Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
auch einer von diesen Strandgammlern geworden. Die Menschen von Amioun werden nur dann etwas, wenn sie Erschütterungen erleben.« Das ist Antifragilität.
L’Art pour l’Art, Lernen um des Lernens willen
Werfen wir nun einen genaueren Blick auf die Belege für die Richtung, in der die Kausalwirkung läuft: Ist es wahr, dass das Wissen, welches auf Schul- und Universitätsbildung beruht, eine Vermehrung von Wohlstand zur Folge hat? Eingehende empirische Recherchen (durchgeführt zum großen Teil von einem gewissen Lant Pritchett, damals Ökonom bei der Weltbank) lieferten keine Hinweise darauf, dass eine Erhöhung des Bildungsniveaus in einem bestimmten Land eine Erhöhung des Einkommensniveaus zur Folge hat. Man weiß vielmehr, dass das Umgekehrte zutrifft, dass Reichtum zur Erhöhung der Bildungsbemühungen führt – und das ist keine optische Täuschung. Man braucht keine Zahlen der Weltbank, um das zu erkennen. Die möglichen Wirkungsrichtungen sind die folgenden:
Bildung ➝ Wohlstand und Wirtschaftswachstum
oder
Wohlstand und Wirtschaftswachstum ➝ Bildung
Was zutrifft, ist unschwer zu erkennen, ablesbar an den Verhältnissen in Ländern, die einerseits wohlhabend sind und andererseits ein bestimmtes Bildungsniveau haben, und der Überlegung, was zuerst da war. Von dem Schurken-Ökonomen Ha-Joon Chang stammt das folgende triftige Argument im Sinne von »Weniger ist mehr«: Im Jahr 1960 hatte Taiwan eine sehr viel niedrigere Alphabetisierungsrate als die Philippinen, das Pro-Kopf-Einkommen war halb so groß; heute ist das Einkommen in Taiwan zehnmal höher. Zur selben Zeit hatte Korea eine sehr viel niedrigere Alphabetisierungsrate als Argentinien (wo sie weltweit mit am höchsten ist) und ungefähr ein Fünftel des Einkommens pro Person; heute ist es dreimal so hoch. Währenddessen wurde in Schwarzafrika die Lese- und Schreibfähigkeit entscheidend verbessert, und gleichzeitig sank der Lebensstandard. Die Beispiele lassen sich vermehren (Pritchetts Studie ist recht umfassend), und ich frage mich, warum man die schlichte Wahrheit nicht bemerkt, nämlich den Umstand, vom Zufall genarrt worden zu sein : Dass beides in relativer Nachbarschaft zueinander auftritt, verwechselt man mit einer Kausalität; wenn reiche Länder einen hohen Bildungsgrad haben, dann zieht man sofort den Schluss, dass Bildung ein Land reich macht, ohne dass man sich der Mühe unterziehen würde, das nachzuprüfen. Auch hier liegt ein Epiphänomen vor. (Der Irrtum hat etwas mit Wunschdenken zu tun, da Bildung als etwas »Gutes« angesehen wird; ich frage mich, warum keine epiphänomenale Zuordnung hergestellt wird zwischen dem Reichtum eines Landes und etwas »Schlechtem«, beispielsweise der Dekadenz, woraus man dann schließen könnte, dass Dekadenz oder andere unangenehme Begleiterscheinungen von Wohlstand wie etwa die hohe Selbstmordrate ebenfalls Wohlstand zur Folge haben.)
Ich sage nicht, dass Bildung für die Einzelperson wertlos wäre: Man erwirbt hilfreiche Qualifikationen für die eigene Karriere – aber derartige Effekte nivellieren sich auf Landesniveau. Bildung stabilisiert generationenübergreifend das Einkommen von Familien. Ein Kaufmann verdient gut, schickt seine Kinder auf die Sorbonne, und diese werden dann Ärzte und Richter. Die Familie behält ihren Wohlstand, weil die Familienmitglieder aufgrund ihrer Universitätsabschlüsse auch noch lange, nachdem der Reichtum ihrer Vorfahren sich verbraucht hat, in der Mittelschicht verbleiben können. Aber auch diese Effekte zählen aufs ganze Land bezogen nicht.
Alison Wolf weist außerdem darauf hin, dass sich aus der Aussage, Microsoft oder British Aerospace seien ohne hoch entwickeltes Wissen nicht denkbar, nicht notwendigerweise die Vorstellung ableiten lässt, mehr Bildung sei gleichbedeutend mit mehr Wohlstand. »Die schlichte Einbahn-Beziehung, die so fest in den Köpfen unserer Politiker und Kommentatoren verankert ist – wenn man vorne Bildungsausgaben reinsteckt, kommt hinten Wirtschaftswachstum heraus –, existiert einfach nicht. Überhaupt werden die Bezüge zur Produktivität immer undurchsichtiger, je größer und komplexer der Bildungssektor ist.« Und ähnlich wie Pritchett führt Wolf die Verhältnisse etwa in Ägypten an und belegt, dass der gigantische Bildungsschub, der sich dort vollzog, keine Auswirkungen auf das Wachstum des ach so geschätzten goldenen Bruttoinlandsprodukts hatte, das den Ländern ihren Wichtigkeitsgrad in den Rankinglisten
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