Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
zuweist.
Dieses Argument richtet sich nicht gegen den Einsatz von bildungspolitischen Strategien im Dienste hehrer Ziele wie etwa der Reduzierung der Ungleichheit in der Bevölkerung oder auch jenem, den Armen Zugang zu guter Literatur zu ermöglichen und sie zu befähigen, Dickens, Victor Hugo oder Julien Gracq zu lesen, oder die Rechte der Frauen in armen Ländern zu stärken (was eine Abnahme der Geburtenrate zur Folge hat). Aber man sollte bei solchen Bestrebungen weder »Wachstum« noch »Wohlstand« als Vorwand anführen.
Ich traf eines Abends Alison Wolf auf einer Party (Partys sind ein fantastischer Ort für Optionalität). Auf meine Bitte hin erzählte sie anderen Gästen von ihren Belegen für die Ineffektivität von Schulbildung. Einer der Zuhörer zeigte sich frustriert über unsere Skepsis. Wolf erwiderte: »Wahre Bildung ist das hier«, und sie deutete auf den Raum voller Menschen, die sich miteinander unterhielten. Ich sage also nicht, dass Wissen nicht wichtig wäre; meine Skepsis bezieht sich auf das standardisierte, abgepackte, mit rosa Zuckerguss überzogene Wissen, das Zeug, das man käuflich erstehen und als Eigenwerbung verwenden kann. Außerdem sei der Leser noch daran erinnert, dass Gelehrsamkeit nicht dasselbe ist wie organisierte Bildung.
Eine weitere Partyepisode. Bei einer hochvornehmen Dinnereinladung beklagte einer der Gäste in einer kurzen Rede das Bildungsniveau in den USA und schlug den üblichen Alarm wegen der schlechten Mathematiknoten. Obwohl ich mit seinen sonstigen Auffassungen einverstanden war, unterbrach ich ihn mit der Bemerkung, Amerikas wertvollste Qualität sei seine konvexe Risikobereitschaft, und wie froh ich sei, nicht in einer dieser Übermutti-Kulturen zu leben, auf die ich hier hin und wieder zu sprechen komme. Alle waren schockiert, entweder verwirrt oder äußerst, wenn auch versteckt, empört, abgesehen nur von einer Person, die bereit war, meine Position zu stützen. Diese Person entpuppte sich als Chefin der New Yorker Schulbehörde.
Ich will nicht sagen, dass Universitäten überhaupt kein Wissen generieren, keinerlei Beitrag zum Wachstum leisten würden (abgesehen natürlich von einem Großteil der Wirtschaftswissenschaften und anderen den Fortschritt hemmenden Aberglaubenslehren); ihre Rolle wird einfach nur kolossal überschätzt, und Akademiker nutzen wohl auch zum Teil unsere Leichtgläubigkeit aus, indem sie unzutreffende kausale Beziehungen herstellen, die überwiegend auf Scheinzusammenhängen beruhen.
Tadellose Tischpartner
Bildung wirkt sich außer auf die Stabilisierung des Familieneinkommens auch noch anderweitig nützlich aus. Sie macht die Menschen zu besseren Tischpartnern, eine nicht zu unterschätzende Eigenschaft. Die Vorstellung, Bildung solle die Wirtschaft befördern, ist relativ neu. Die britische Regierung formulierte vor nicht einmal fünfzig Jahren ein anderes Bildungsziel, als wir es heute verfolgen: Es gehe darum, das Bewusstsein für Werte zu steigern, die Menschen zu guten Bürgern zu machen sowie um das »Lernen«, nicht aber um Wirtschaftswachstum (damals waren die Leute keine Dummköpfe) – ein Umstand, auf den auch Alison Wolf verweist.
Auch in der Antike lernte man um des Lernens willen, um aus einem Menschen einen guten Menschen zu machen, der es wert war, dass man sich mit ihm unterhielt, und nicht, um die Goldvorräte in den schwer bewachten städtischen Schatztruhen zu vermehren. Unternehmer, vor allem diejenigen in technischen Berufen, sind nicht unbedingt die prickelndsten Gesprächspartner. Ich erinnere mich an eine Heuristik, die ich in meinem früheren Beruf anwandte, wenn es darum ging, jemanden einzustellen (sie lautete: »Trenne diejenigen, die, wenn sie ein Museum besuchen, den Cézanne an der Wand anschauen, von denen, die sich auf den Inhalt der Mülleimer konzentrieren«). Je interessanter ihre Konversationsbeiträge, je kultivierter sie selbst sind, desto mehr werden sie in der Vorstellung befangen sein, dass sie auch in dem, was ihr eigentlicher Beruf ist, gut sind. (Psychologen bezeichnen das als Halo-Effekt : Man nimmt an, die Fähigkeit, zum Beispiel Ski zu fahren, habe zwingend zur Folge, dass man eine Töpferwerkstatt betreiben oder die Abteilung einer Bank leiten kann, oder ein guter Schachspieler sei im wirklichen Leben ein guter Stratege. 47 )
Es liegt auf der Hand, dass es töricht wäre, praktische Fertigkeiten mit Eloquenz gleichzusetzen. Meiner Erfahrung nach können echte Fachleute in
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