Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
was er wusste, war: Es gibt Dummköpfe.
Hätten Sie irgendeinen intelligenten »Analysten« oder Journalisten damals befragt, er hätte Ihnen einen Anstieg des Ölpreises im Fall eines Krieges prognostiziert. Und genau dieser kausale Zusammenhang war für Tony alles andere als selbstverständlich. Also setzte er dagegen: Alle bereiteten sich darauf vor, dass der Ölpreis aufgrund des Krieges steigt und sich der Preis diesem Umstand anpassen würde. Ein Krieg mag zu einem Anstieg der Ölpreise führen, aber nicht ein planmäßiger Krieg – denn Preise passen sich an Erwartungen an. Es muss »im Preis« sein, so formulierte es Fat Tony.
Und tatsächlich – als die Nachricht vom Krieg dann kam, brach der Ölpreis von rund 39 Dollar pro Barrel auf ungefähr die Hälfte ein, und Tony verwandelte seine Investition von 300000 Dollar in 18 Millionen Dollar. »Es gibt so wenige Gelegenheiten im Leben, die darf man nicht verpassen«, belehrte er Nero später während einem gemeinsamen Mittagessen, bei dem er versuchte, seinen Freund davon zu überzeugen, auf den Zusammenbruch des Finanzmarkts zu wetten. »Gute spekulative Wetten kommen zu einem, aber nur, wenn man nicht ständig Nachrichten schaut.« Ganz wichtig ist die zentrale Feststellung von Fat Tony: »Kuwait und Öl sind zwei Paar Stiefel.« Davon ausgehend möchte ich meine Idee der Vermengung entwickeln. Tony hatte mehr Vorteile als Nachteile, und für ihn war die Sache damit erledigt.
Viele verloren ihr letztes Hemd, als der Ölpreis fiel – obwohl sie den Krieg richtig vorhergesagt hatten. Sie hatten einfach angenommen, dass es sich hier um ein und dasselbe Paar Stiefel handelte. Aber es war zu viel gehortet, zu viel gelagert worden. Ich erinnere mich, dass ich damals das Büro eines bedeutenden Fondsmanagers aufsuchte. An der Wand seines Büros, das eher einer Einsatzzentrale glich, hatte er eine Karte vom Irak hängen. Die Mitglieder seines Teams wussten alles über Kuwait, Irak, Washington, die UNO . Nur eine schlichte Tatsache übersahen sie: dass all das nichts mit Öl zu tun hatte – es waren zwei Paar Stiefel. Die Analysen waren alle schön und gut, aber sie hatten keinen Bezug zur Realität. Natürlich war der Mann durch den Kurssturz ruiniert, und wie ich später erfuhr, ging er dann wohl zurück in die juristische Fakultät.
Neben der nüchternen Sicht der Dinge lehrt diese Geschichte noch etwas: Menschen, deren Gehirn von komplizierten Tricks und Methoden vernebelt ist, neigen dazu, ganz elementare Dinge zu übersehen. Menschen in der wirklichen Welt können es sich nicht leisten, solche Dinge zu übersehen, sonst stürzen sie ab. Im Unterschied zu den Forschern vollzog sich deren Selektion nach Überlebenskriterien, nicht nach ihrer Fähigkeit, die Dinge komplizierter zu machen. Ich hatte also einen Paradefall der »Weniger ist mehr«-Maxime vor Augen: Je mehr Studien, desto stärker geraten die elementaren, fundamentalen Dinge aus dem Blick; Aktivität hingegen reduziert die Dinge auf das einfachst mögliche Modell.
Vermengung
Natürlich gibt es im Leben zahllose Dinge, die in die Kategorie »Zwei Paar Stiefel« gehören. Lassen Sie uns das Konzept der Vermengung verallgemeinern.
Die Lektion »Zwei Paar Stiefel« ist recht umfassend. Wenn Optionalität oder Antifragilität vorliegt und man Investitionsmöglichkeiten mit großem Gewinn- und geringem Verlustpotential identifizieren kann, dann hat das, was man hier unternimmt, nur noch sehr entfernt etwas mit dem zu tun, was Aristoteles unter Urteilen versteht.
Es gibt ein Etwas (hier: eine Wahrnehmung, Ideen, Theorien) und eine Funktion von Etwas (hier: ein Preis oder etwas Reales). Das Vermengungsproblem tritt auf, wenn man das eine mit dem anderen verwechselt, wenn man vergisst, dass es sich um eine »Funktion« handelt und dass eine solche Funktion andere Eigenschaften hat.
Je mehr Asymmetrien nun zwischen dem Etwas und der Funktion von Etwas auftreten, desto größer ist der Unterschied zwischen beiden. Letztlich kann es darauf hinauslaufen, dass sie gar nichts mehr miteinander zu tun haben.
Das klingt trivial, hat aber gewichtige Folgen. Die Wissenschaft (natürlich nicht die »Sozial«-Wissenschaften, sondern die wirklich clevere Wissenschaft) begreift das normalerweise. Der große Mathematiker Jim Simons, der ein Vermögen damit verdiente, eine riesige, Märkte übergreifende Maschine zu konstruieren, entging dem Vermengungsproblem. Seine Maschine repliziert die Kauf- und
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