Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

feststellten, verstehen Ärzte, ähnlich wie Gewichtheber, immer wieder einmal bruchstückhaft die Nichtlinearitäten bei Dosis-Wirkungs-Beziehungen), taucht die Vorstellung von Konvexitätseffekten als solche doch weder in der Sprache noch in den Methoden auf.
    Rennen statt Gehen
    Hier ein weiteres Beispiel, diesmal eine Situation, die von Variabilität, vom positiven Konvexitätseffekt, tatsächlich profitiert. Stellen Sie sich zwei Brüder vor, Castor und Pollux, die einen Weg von einer Meilezurückzulegen haben. Castor spaziert die Meile in entspanntem Tempo und kommt nach zwanzig Minuten am Ziel an. Pollux spielt vierzehn Minuten lang an seinem Handy herum und holt sich die letzten Updates von irgendwelchen Klatschgeschichten, dann rennt er los und braucht für dieselbe Meile sechs Minuten, trifft mithin zur selben Zeit ein wie Castor.
    Beide haben folglich in exakt derselben Zeit, also mit demselben Schnitt, die gleiche Strecke zurückgelegt. Castor, der den ganzen Weg in gemächlichem Tempo gegangen ist, profitiert im Hinblick auf seine Gesundheit und seine Fitness wahrscheinlich sehr viel weniger als Pollux, der die Strecke rennend bewältigt hat. Der gesundheitliche Nutzen ist (bis zu einer bestimmten Grenze) im Verhältnis zur Geschwindigkeit konvex .
    Der eigentliche Sinn körperlichen Trainings besteht darin, von der Antifragilität gegenüber Stressoren zu profitieren – ich habe bereits darauf hingewiesen, dass jede Form des Trainings letztlich darin besteht, Konvexitätseffekte auszunutzen.
    Selbst wenn klein hässlich wäre – es ist auf jeden Fall weniger fragil
    Man hört immer wieder den Satz »Small is beautiful« – eine charmante, wirkmächtige Aussage; viel wurde zu ihrer Bestätigung beigetragen – das meiste davon ist anekdotischer, romantischer oder existentieller Natur. Thematisieren wir die Idee im Zusammenhang mit unserem Ansatz, dass Fragilität gleich Konkavität gleich Abneigung gegen Zufälligkeit ist, und schauen wir, wie wir einen solchen Effekt messen können.
    Wie man in die Klemme gerät
    In der Klemme befindet man sich, wenn man etwas tun muss, ohne eine Wahl zu haben – und zwar sofort und auf der Stelle, ohne Rücksicht auf die Kosten.
    Für Ihre bessere Hälfte steht die Verteidigung ihrer Doktorarbeit über die Geschichte des deutschen Tanzes an, und Sie müssen nach Marburg fliegen, um in einem so entscheidenden Augenblick anwesend zu sein, die Eltern kennenzulernen und offiziell die Verlobung bekanntzugeben. Sie leben in New York und ergattern einen Billigflug nach Frankfurt für vierhundert Dollar, und Sie sind ganz entzückt über den niedrigen Preis. Allerdings müssen Sie in London umsteigen. Sie treffen am JFK -Flughafen in New York ein, und dort werden Sie von einem Mitarbeiter der Airline davon in Kenntnis gesetzt, dass die Flüge nach London gestrichen wurden, tut uns leid, Verspätungen wegen Wetterproblemen, all diese Sachen eben. Irgendwas wegen Heathrows Fragilität. Sie können einen Last-Minute-Flug nach Frankfurt bekommen, aber Sie müssen viertausend Dollar bezahlen, fast zehnmal so viel wie für den anderen Flug, und Sie müssen sich schnell entscheiden, denn es gibt nur noch wenige Plätze. Sie schäumen vor Wut, schreien, fluchen, geben sich selbst die Schuld, Ihrer Erziehung, Ihren Eltern, die Ihnen beigebracht haben, sparsam mit Geld umzugehen, und dann blättern Sie die viertausend Dollar hin. Das ist eine klassische Klemme.
    Klemmen werden verschärft durch Größe. Wenn man groß ist, wird man durch gewisse Irrtümer, vor allem aber durch grauenhafte Klemmen verletzbar. Klemmen werden nichtlinear umso kostspieliger, je mehr die Größe zunimmt.
    Um zu verstehen, zu welch einer Verlegenheit sich das auswachsen kann, halten Sie sich die Gründe vor Augen, warum Sie keinen Elefanten als Haustier halten sollten, welche emotionale Nähe auch immer Sie zu dem Tier empfinden mögen. Nehmen wir an, Sie könnten sich von Ihrem Postdoktoranden-Budget einen Elefanten leisten, und er wird Ihnen in Ihren Hinterhof geliefert. Wenn es zu einer Wasserknappheit kommt – wenn Sie also in eine Klemme geraten, denn Sie haben ja keine andere Wahl, als für das Wasser zu blechen –, dann müssten Sie für jeden zusätzlichen Liter Wasser einen immer höheren Preis bezahlen. Genau das ist Fragilität, ein negativer Konvexitätseffekt, der sich daraus ergibt, dass etwas zu groß geworden ist. Die unerwarteten Kosten im Verhältnis zu den Gesamtausgaben wären