Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
das ist der Preis des Erfolgs (und des Wachstums), vielleicht auch eine unumgängliche Strafe für übermäßigen Erfolg. Was letztlich zählt, ist die Stärke des Fadens, an dem das Schwert hängt, nicht die Üppigkeit des Gelages und die Macht seiner Gäste. Glücklicherweise sind diese Verwundbarkeiten identifizierbar, messbar und beeinflussbar – für diejenigen, die bereit sind zuzuhören. Das ist es, worauf die Triade meines Vorworts letztlich hinausläuft: Es gibt viele Situationen, in denen sich die Stärke des Fadens messen lässt.
Darüber hinaus wirkt sich Wachstum mit einem anschließenden Zusammenbruch schädlich auf die Gesellschaft aus; dass die Gäste beim Gastmahl als Reaktion auf das auf Damokles herabsausende Schwert in Mitleidenschaft gezogen werden, entspricht den heute so genannten Kollateralschäden, es trifft also auch andere empfindlich. So hat etwa der Zusammenbruch einer bedeutenden Institution Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft.
Eine bestimmte Art von Intellektualisierung macht ebenfalls fragil gegenüber Schwarzen Schwänen: Wenn Gesellschaften komplexer werden, wenn die Theorien der »Wirtschaftsweisen« immer ausgeklügelter werden und die Spezialisierung immer weiter um sich greift, nimmt auch die Anfälligkeit für Zusammenbrüche zu. Diese Idee wurde brillant und überzeugend von dem Archäologen Joseph Tainter umrissen. Aber das muss nicht so sein: Es gilt nur für diejenigen, die den nächsten Schritt nicht tun wollen, die sich weigern, die Matrix der Realität zu verstehen. Um mit Erfolg umgehen zu können, brauchen Sie viel Robustheit, ja sogar Antifragilität. Man sollte Phönix oder besser noch Hydra sein. Andernfalls saust das Damoklesschwert auf einen herab.
Über die Notwendigkeit von Namen
Wir wissen mehr, als wir zu wissen meinen, und sehr viel mehr, als wir artikulieren können. Wenn unsere formalen Denksysteme das Natürliche ausgrenzen, wenn wir keinen Namen für Antifragilität haben und uns gegen die Vorstellung davon wehren, sobald wir unseren Verstand einschalten, dann heißt das noch lange nicht, dass Antifragilität in unseren Handlungen keine Rolle spielt. Unsere Wahrnehmungen und unsere Intuition, die in unseren Taten zum Ausdruck kommen, können dem überlegen sein, was wir wissen und rubrizieren, was wir mit Sprache diskutieren und in Klassenzimmern unterrichten. Ich werde im weiteren Verlauf noch öfter auf diesen Punkt eingehen, vor allem wenn es um die wichtige Vorstellung des Apophatischen gehen wird (also dessen, was mit unserem gebräuchlichen Vokabular nicht explizit formuliert oder direkt beschrieben werden kann); hier zunächst vorab ein sonderbares Phänomen.
In seinem Buch Im Spiegel der Sprache berichtet der Linguist Guy Deutscher, dass viele Naturvölker, obwohl sie nicht farbenblind sind, lediglich zwei oder drei Farbbenennungen einsetzen. Gibt man ihnen dann in einem einfachen Test verschiedenfarbige Schnüre, können sie sie problemlos den entsprechenden Farben zuordnen. Sie sind in der Lage, Unterschiede zwischen den Schattierungen des Regenbogens wahrzunehmen, aber das schlägt sich nicht in ihrem Vokabular nieder. Diese Gruppen sind kulturell, nicht aber physiologisch farbenblind. Und genauso sind wir zwar intellektuell, aber nicht organisch blind für Antifragilität. Um den Unterschied zu sehen, müssen Sie sich nur klarmachen, dass Sie das Wort »Blau« für die Konstruktion einer Erzählung brauchen, aber nicht, wenn Sie handeln.
Nur wenige wissen, dass viele Farben, die für uns heute selbstverständlich sind, lange Zeit keine Bezeichnungen hatten – in zentralen Texten der abendländischen Kultur tauchen für viele Farben keine Bezeichnungen auf. Antike – sowohl griechische wie semitische – Texte aus dem Mittelmeerraum verfügten ebenfalls nur über ein reduziertes Vokabular für einige wenige Farben, die sich vor allem um Dunkel und Hell herum gruppieren – Homer und seine Zeitgenossen kannten lediglich drei bis vier Hauptfarben: Schwarz, Weiß und einige vage bestimmte Teile des Farbspektrums, die häufig unter Rot oder Gelb subsumiert wurden.
Ich wandte mich direkt an Guy Deutscher. Er war sehr zuvorkommend und erklärte mir, in der Antike habe es nicht einmal ein Wort für eine so elementare Farbe wie Blau gegeben. Die Abwesenheit des Wortes »Blau« im Altgriechischen erklärt, warum Homer sich immer wieder auf das »weindunkle Meer« ( oinopa ponton ) bezieht, ein Umstand, der schon viele Leser (mich
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