Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
eingeschlossen) irritiert hat.
Interessanterweise war der Erste, dem dieser Umstand (in den 1850er Jahren) auffiel, der britische Premierminister William Gladstone (er wurde dafür von der üblichen Journaille höchst unfair und unsachlich geschmäht). Gladstone war ein hochgebildeter Mann, er schrieb, wenn er nicht gerade aktiv Politik betrieb, eine eindrucksvolle, 1700 Seiten umfassende Abhandlung über Homer. Im letzten Teil seines Buchs kommt Gladstone auf die Beschränkung hinsichtlich des Farbvokabulars zu sprechen und führt dabei unsere heutige Empfänglichkeit für zahlreichere Farbschattierungen auf die über die Generationen hinweg zunehmende Schulung des Auges zurück. Doch unabhängig von den Farbbezeichnungen in der damaligen Kultur waren die Menschen nachweislich fähig, die Unterschiede zu identifizieren – es sei denn, sie waren tatsächlich physiologisch farbenblind.
Gladstone war in vielerlei Hinsicht eine eindrucksvolle Persönlichkeit. Neben seiner Gelehrsamkeit, seiner Charakterstärke, seinem Respekt vor den Schwachen und der großen Tatkraft, vier höchst attraktiven Attributen (Respekt vor den Schwachen ist für mich nach intellektueller Courage die zweitattraktivste Eigenschaft überhaupt), zeigte Gladstone auch eine bemerkenswerte Voraussicht. Er fand heraus, was in seinen Tagen nur wenige zu denken wagten, dass nämlich die Ilias auf wahren Begebenheiten beruht (Troja war damals noch nicht entdeckt). Und noch wichtiger, noch scharfsichtiger und von größter Bedeutung für mein Buch: Er bestand mit allem Nachdruck auf einem ausgeglichenen Haushaltsetat. Haushaltsdefizite haben sich als eine der Hauptquellen von Fragilität in sozialen und wirtschaftlichen Systemen herausgestellt.
Proto-Antifragilität
Es gibt zwei Antifragilitätskonzepte, die als Einstiegsmodell oder eine Art Vorreiter in der Anwendung verstanden werden können und die bestimmte Spezialfälle abdecken. Dabei handelt es sich um noch zurückgenommene Erscheinungsformen von Antifragilität, die auf den medizinischen Sektor beschränkt sind. Als Anfangsbeispiele sind sie gut geeignet.
Mithridates IV ., König von Pontos in Kleinasien, war nach der Ermordung seines Vaters untergetaucht, und in dieser Zeit, so berichtet die Sage, habe er sich gegen Vergiftung immunisiert, indem er unschädliche Mengen Gift in nach und nach zunehmenden Quantitäten zu sich nahm. Später verband er seine Praktik mit einem komplizierten religiösen Ritual. Allerdings brachte er sich damit irgendwann selbst in eine missliche Lage – sein Versuch, sich mit Gift umzubringen, scheiterte, »da er sich gegen die Wirkung von Gift unempfindlich gemacht hatte«. Er musste einen verbündeten Feldherrn um den Gefallen bitten, ihn mit dem Schwert zu töten.
Diese Methode namens Antidotum Mithridatium , die von Celsus, dem berühmten Arzt der Antike, hochgelobt wurde, war offenbar in Rom sehr geschätzt, denn ungefähr ein Jahrhundert später machte sie dem Kaiser Nero, der seine Mutter umbringen wollte, einen Strich durch die Rechnung. Nero war besessen von dem Plan, seine Mutter Agrippina zu töten, die, um die Dinge etwas farbiger zu machen, Caligulas Schwester war (noch aufregender wird die Sache dadurch, dass sie angeblich die Geliebte Senecas war, auf den ich später noch zu sprechen komme). Allerdings kennt eine Mutter ihren Sohn normalerweise ja recht gut, sie kann sich vorstellen, worauf er aus ist, vor allem, wenn sie sonst keine Kinder hat – und Agrippina kannte sich auch mit Gift aus, sehr wahrscheinlich hatte sie selbst im Zusammenhang mit dem Tod von mindestens einem ihrer Gatten damit gearbeitet (wie ich sagte – die Verhältnisse waren höchst aufregend). Da sie den Verdacht hegte, dass Nero ihr nach dem Leben trachtete, wandte sie ihrerseits die Methode der Mithridatisation gegen diejenigen Gifte an, von denen sie wusste, dass sie den Höflingen ihres Sohns zugänglich waren. Wie Mithridates starb auch Agrippina später durch eine eher mechanische Methode: Ihr Sohn heuerte Mörder an, die sie (wahrscheinlich) erschlugen, und vermittelt uns damit die kleine, aber bedeutsame Lehre, dass man nicht gegen alles robust sein kann. Auch zweitausend Jahre später hat noch niemand eine Methode gefunden, die einen Menschen gegen Schwerter »immunisiert«.
Lassen Sie uns das Ergebnis dessen, was passiert, wenn man sich einer kleinen Dosis einer Substanz aussetzt, die einen im Lauf der Zeit gegen weitere, größere Quantitäten immun macht,
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