Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
sich auf der Höhe der Straße abspielt, deformierten. Außerdem stritt sie mit Robert Moses wegen der lediglich an den Bedürfnissen der Autofahrer ausgerichteten Highways, die das Leben aus der City heraussaugten. Ihrer Meinung nach sollte eine City den Fußgängern gehören. Wir stoßen hier wieder auf den Gegensatz zwischen Maschine und Organismus: Für Jacobs stellt die Stadt einen Organismus dar, für Moses eine Maschine, die zu optimieren ist. Moses hatte sogar Pläne, West Village (den westlichen Teil von Greenwich Village) zu planieren; nur dank der Petitionen von Jacobs und ihrem unbeugsamen Widerstand überlebte das Viertel – das wohl schönste von Manhattan – fast unverändert. Man darf Moses nicht nur Vorwürfe machen, er hatte auch weniger destruktive Projekte – einige sogar mit positiven Auswirkungen, so sind heute dank der Highways Parks und Strände für die Mittelklasse einfacher erreichbar.
Sie erinnern sich an die Diskussion um städtische Flächen – sie lassen sich nicht einfach beliebig vergrößern, denn Probleme werden abstrakter, wenn sie maßstäblich vergrößert werden, und das Abstrakte ist etwas, womit der Mensch nicht gut fertig wird. Dasselbe gilt für das Leben in der Stadt: Stadtviertel sind quasi dasselbe wie kleine Dörfer, und das müssen sie bleiben.
Kürzlich steckte ich in London in einem Verkehrsstau – wo, wie man sagt, die Fahrtgeschwindigkeit heute dieselbe wie vor eineinhalb Jahrhunderten ist, wenn nicht sogar noch langsamer. Ich brauchte fast zwei Stunden, um vom einen Ende der Stadt zum anderen zu kommen. Während ich mit dem (polnischen) Taxifahrer die einzelnen Konversationspunkte abarbeitete, fragte ich mich, ob Haussmann nicht genau das Richtige getan hatte – und ob nicht auch London besser mit einem Haussmann gedient wäre, der ganze Stadtteile planiert und der Stadt breite Arterien zur Erleichterung des Verkehrskreislaufs aufzwingt. Aber dann ging mir auf, dass der Grund für das vergleichsweise hohe Verkehrsaufkommen in London darin zu sehen ist, dass die Leute eben genau dort leben wollen – sie sind bereit, diese Unannehmlichkeiten auf sich zu nehmen, einfach um in London sein zu können. Mehr als ein Drittel der Einwohner Londons sind im Ausland geboren, und außer den Einwanderern gibt es die vielen Reichen weltweit, die als Ausgangsposition für ihre globalen Aktionen auf eine Zweitwohnung in Central London Wert legen. Vielleicht macht ja das Fehlen von ausladenden Avenuen und eines dominanten Staates einen Teil des Reizes der Stadt aus. Niemand käme auf den Gedanken, sich in Brasilia, dem Inbegriff einer Top-down-Stadt, die vollständig auf dem Reißbrett geplant wurde, eine Zweitwohnung zuzulegen.
Ich habe außerdem herausgefunden, dass die teuersten Stadtviertel im heutigen Paris (etwa das sechste Arrondissement oder die Île Saint-Louis) genau diejenigen sind, die die Stadtplaner des 19. Jahrhunderts in Ruhe gelassen haben.
Das beste Argument gegen teleologische Planung aber ist folgendes: Auch nachdem sie fertiggestellt sind, verändern Gebäude sich, als müssten sie sich langsam entwickeln und sich in ihre dynamische Umgebung einpassen. Farben, Formen, Fenster wandeln sich – und nicht zuletzt der Gesamtcharakter. Stewart Brand hat in seinem Buch How Buildings Learn mit vielfältigem Bildmaterial gezeigt, wie sich Gebäude im Lauf der Zeit verändern, als müssten sie sich in unabsehbare Formen verwandeln – seltsamerweise lassen Gebäude, wenn sie einmal gebaut sind, keine Option auf zukünftige Veränderungen erkennen.
Fenster von Wand zu Wand
Ich bin nicht uneingeschränkt skeptisch gegenüber moderner Architektur eingestellt. Während die meisten unnatürlichen Stress produzieren, bringen manche ihrer Teile durchaus eine Verbesserung mit sich. So versetzen beispielsweise in einer ländlichen Umgebung große Fenster vom Boden bis zur Decke den Menschen in die Natur – wieder so ein Fall, in dem sich Technik (buchstäblich) unsichtbar macht. Früher, als es noch keine Isolierungsmöglichkeiten gab und Wärme schnell durch die Fenster entwich, war die Fenstergröße durch die herrschenden Temperaturen vorgegeben. Mit den heutigen Materialien müssen wir uns diesem Zwang nicht mehr beugen. Darüber hinaus war manches in der französischen Architektur eine Reaktion darauf, dass nach der Revolution auf Fenster und Türen eine Steuer erhoben wurde, weshalb viele Gebäude nur sehr wenige Fenster haben.
Schuhe, die uns keine Vorgaben
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