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Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Titel: Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nassim Nicholas Taleb
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abprallen.
    Im Bereich der Stadtplanung lässt sich die zentrale Eigenart des so genannten Top-down-Effekts in Reinform aufzeigen: Top-down-Vorgänge sind meistens unumkehrbar, die Fehler bleiben also bestehen, dagegen laufen Bottom-up-Prozesse schrittweise ab, Kreation und Destruktion gehen fortwährend Hand in Hand, wobei wahrscheinlich immer eine Neigung zum Positiven hin vorherrscht.
    Dinge, die auf natürliche Weise wachsen, seien es Städte oder einzelne Häuser, haben zudem die Eigenschaft, fraktal zu sein. Wie alles Lebende wachsen Organismen, etwa Lungen oder Bäume, in einer Art selbstgesteuerter, gezähmter Beliebigkeit. Was heißt fraktal? Sie erinnern sich an die im dritten Kapitel erwähnte Erkenntnis Mandelbrots: »Fraktal« umfasst einerseits das Unregelmäßig-Zerklüftete, andererseits eine Art Selbstähnlichkeit in Dingen (Mandelbrot benutzte lieber den Begriff »Selbstaffinität«), beispielsweise Bäume, welche sich zu Ästen entfalten, die wie kleine Bäume aussehen, die ihrerseits kleinere Zweige entwickeln, auch sie leicht modifizierte, aber immer noch erkennbare Versionen des Ganzen. Solche Fraktale entwickeln einen Detailreichtum, der auf einigen wenigen Wiederholungsregeln ineinander geschachtelter Muster beruht. Unregelmäßigkeit gehört zum Fraktal, allerdings eine Art von Unregelmäßigkeit, in deren Wahnsinn Methode steckt. In der Natur ist alles fraktal, unregelmäßig, rau und reich an Details, wobei alles auf ein bestimmtes Muster zurückgeht. Das im Vergleich dazu Glatte gehört in den Bereich der euklidischen Geometrie, wie wir sie in der Schule lernen: vereinfachte Formen, die diese reiche Schicht verloren haben.
    Leider ist moderne Architektur glatt und nichtssagend, selbst wenn sie wunderlich sein will. Was von oben nach unten geplant wurde, ist meistens faltenlos (also nicht fraktal) und wirkt tot.
    Manchmal kann die Moderne auch in eine andere, naturalistische Richtung gehen, doch bleibt das folgenlos. Gaudís Bauten in Barcelona aus der Zeit des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts sind von der Natur und von der schwelgerischen Tradition barocker und maurischer Architektur inspiriert. Ich habe dort einmal eine mietpreisgebundene Wohnung besucht: Man kam sich vor wie in einer komfortablen Höhle; überall gab es Details zu entdecken. Ich war überzeugt, in einem früheren Leben schon einmal dort gewesen zu sein. Detailreichtum kann ironischerweise zu innerem Frieden führen. Gaudís Ideen fanden allerdings keine Nachahmer, letztlich befeuerten sie lediglich einen unnatürlichen, naiven Modernismus: Spätere modernistische Strukturen sind glatt und weit entfernt von dem fraktalen, wilden Reichtum Gaudí’scher Formen.
    Ich schreibe gern mit Blick auf Bäume, wenn möglich auch auf wilde, naturbelassene Gärten, besonders die Farnpflanzen darin. Weiße Wände mit scharfen Ecken und euklidischen Winkeln und klare Formen strengen mich an. Und wenn solche Bauten einmal stehen, wird man sie nicht mehr los. Fast alles, was seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gebaut wurde, hat diese unnatürliche Glätte.
    Es gibt Menschen, bei denen solche Gebäude mehr als nur ästhetischen Schrecken hervorrufen – viele Rumänen sind noch heute empört darüber, wie der Diktator Nicolae Ceau ș escu die traditionellen Dorfstrukturen zerstörte und durch moderne Hochhäuser ersetzte. Neomanie und Diktatur sind eine explosive Mischung. In Frankreich sehen manche den Grund für die Immigrantenaufstände in der modernistischen Architektur des sozialen Wohnungsbaus. Über die dortigen unnatürlichen Lebensumstände schrieb der Journalist Christopher Caldwell: »Le Corbusier nannte Häuser ›Maschinen zum Leben‹. Die Wohnbauprojekte der französischen Regierung sind, wie wir jetzt erfahren mussten, Entfremdungsmaschinen.«
    Jane Jacobs, die New Yorker Stadtaktivistin, leistete heroischen Widerstand gegen die Neomanie in Architektur und Stadtplanung, der modernistische Traum hingegen verkörperte sich in Robert Moses, der die Stadtstruktur New Yorks verbessern wollte, indem er kleinere Mietshäuser abreißen und breite Straßen und Highways bauen ließ. Damit ging er noch radikaler gegen natürlich gewachsene Strukturen vor als Haussmann, der, wie im siebten Kapitel dargestellt, während des 19. Jahrhunderts ganze Stadtviertel in Paris abreißen ließ, um Platz für die »Grands Boulevards« zu schaffen. Jacobs war gegen große Gebäude, da sie die Erfahrung städtischen Lebens, das

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