Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
zum Dinner zweihundert Gramm gut durchgebratenes Fleisch mit zweihundert Zentilitern Rotwein zu sich nehmen (die für die Gesundheit optimalen Mengen), irgendwo in seinem Büro und heckt Pläne aus, wie die »Effizienz« des metrischen Systems noch tiefer in die ländlichen Gebiete der Mitgliedsstaaten getragen werden kann.
Die Verwandlung von Wissenschaft in Journalismus
Man kann die Kriterien der Fragilität und Robustheit auch auf den Umgang mit Information anwenden – das Fragile ist in diesem Kontext, ähnlich wie in der Technologie, alles, was der Prüfung durch den Lauf der Zeit nicht standhält. Die beste Filterheuristik besteht also darin, auf das Alter von Büchern und wissenschaftlichen Veröffentlichungen zu achten. Bücher, die gerade einmal ein Jahr alt sind, muss man – ungeachtet des Hypes, der um sie und ihre angeblich »weltbewegende« Qualität gemacht wird – normalerweise nicht lesen, denn die Wahrscheinlichkeit, dass sie »überleben«, ist äußerst gering. Ich orientiere mich also bei der Frage, was ich lesen soll, am Lindy-Effekt: Bücher, die schon seit zehn Jahren auf dem Markt sind, werden sich noch weitere zehn Jahre halten; Bücher, die seit zweitausend Jahren gelesen werden, werden es noch eine ganze Weile länger schaffen und so weiter. Viele verstehen zwar diesen Punkt, wenden ihn jedoch nicht auf akademische Arbeiten an, die sich heutzutage nur unwesentlich vom Journalismus unterscheiden (sieht man einmal ab von wenigen sporadischen wirklich originellen Veröffentlichungen). Akademische Arbeiten sind klar darauf ausgerichtet, Aufmerksamkeit zu erregen, und daher ein ergiebiges Feld für die Anwendung des Lindy-Effekts: Man denke nur an die Millionen von Aufsätzen, die einfach nur leeres Rauschen darstellen, wie sehr sie auch zur Zeit ihrer Veröffentlichung hochgejubelt worden sein mögen.
Will man entscheiden, ob ein wissenschaftliches Ergebnis oder eine neue »Innovation« wirklich ein Durchbruch, also das Gegenteil von inhaltsleerem Rauschen ist, muss man sämtliche Aspekte einer Idee sehen können – diese aber sind zum Teil noch hinter einem Schleier von Opakheit verborgen, den erst die Zeit, und nur die Zeit, lüften und auflösen kann. Ich verfolge wie viele andere akribisch die Entwicklung der Krebsforschung, wobei ich auf folgende Episode stieß. Irgendwann gab es große Aufregung um die Forschungsergebnisse von Judah Folkman, der, wie wir bereits in Kapitel 15 gesehen haben, die Auffassung vertrat, man könne Krebs durch Unterbindung der Blutzufuhr heilen (Tumore brauchen Nahrung und haben die Eigenschaft, neue Blutgefäße zu bilden, ein Phänomen, das als Neovaskularisation bezeichnet wird). Auf dem Papier sah die Idee tadellos aus, eineinhalb Jahrzehnte später jedoch hat es den Anschein, als bestehe das einzige wirklich handfeste Resultat daraus in der Linderung von Makuladegeneration, was mit Krebs gar nichts zu tun hat.
Andererseits können sich Ergebnisse, die zunächst eher unbedeutend wirken und kaum zur Kenntnis genommen werden, Jahre später als Durchbruch erweisen.
Die Zeit wirkt hier als Reinigungsfaktor, der überschätzte Arbeiten einfach im Mülleimer des Vergessens verschwinden lässt. Manche Organisationen gehen sogar so weit, aus wissenschaftlicher Produktivität einen billigen Zuschauersport zu machen, indem Rankings der »zehn großartigsten Artikel« etwa im Bereich der Rektalonkologie oder einem ähnlichen Unter-Unter-Spezialgebiet aufgestellt werden.
Wenn man wissenschaftliche Erkenntnisse durch Wissenschaftler ersetzt, trifft man auf denselben neomanischen Hype. Es gibt in der akademischen Welt die Unsitte, einen Preis für den vielversprechendsten Wissenschaftler »unter vierzig« auszuloben – eine Krankheit, die bereits die Wirtschaftswissenschaften, die Mathematik, die Finanzwissenschaft und andere mehr befallen hat. Mathematik ist zugegebenermaßen ein Spezialfall, da hier die Ergebnisse sofort erkennbar sind – für diesen Bereich würde ich meine Kritik also zurückziehen. Aber was die Felder angeht, auf denen ich mich auskenne – Literatur, Finanzwelt, Wirtschaftswissenschaften –, kann ich versichern, dass die Preise, die an diese Jungwissenschaftler vergeben werden, den besten umgekehrten Indikator für ihre tatsächliche Qualität darstellen. (Das entspricht der ausreichend getesteten Überzeugung von Tradern, dass Firmen, die für ihr Potential hochgejubelt und auf dem Umschlag von Zeitschriften oder in Büchern wie Good
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