Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
erwähnte außerdem noch Daniel Kahnemans letztes Buch. Darin stellt der Autor aus der zeitlichen Distanz, gefiltert und modernisiert, seine Forschungsanstrengungen in der Zeit von vor fünfunddreißig bis vierzig Jahren vor. Zuerst hatte es den Anschein, als sollte meine Empfehlung ungehört verhallen, aber nach einer Weile entwickelte der Student eine Lesekultur, in der Originaltexte die Hauptrolle spielten – Texte von Adam Smith, Karl Marx und Hayek, Texte, die er, so seine Überzeugung, auch noch zitieren wird, wenn er achtzig ist. Er berichtete mir, nach seiner Entgiftung habe er festgestellt, dass alle seine Kommilitonen nur zeitgemäßes Material zur Kenntnis nahmen, das sich praktisch über Nacht von selbst erledigt.
Was zugrunde gehen sollte
Im Jahr 2010 bat mich die Zeitschrift The Economist , an einer Artikelreihe teilzunehmen. Es ging um ein Bild der Welt im Jahr 2036.Sie kannten meine kritische Distanz zu Prognosen, ihre Absicht bestand also darin, mich als kritisches »Gegengewicht« zu den übrigen einfallsreichen, fantasievollen Vorhersagen einzusetzen, um eine Balance zwischen den Beiträgen herzustellen. Man hoffte auf eine meiner üblichen zornigen, abweisenden, gereizten Philippikas.
Die Redaktion war dann ziemlich überrascht, als sie meinen Text bekam – eine Reihe von Prognosen, die ich nach einem zweistündigen (gemächlichen) Spaziergang niedergeschrieben hatte. Wahrscheinlich nahm man dort zunächst an, ich wolle sie verulken, oder man habe die E-Mail irrtümlich an die falsche Adresse geschickt und die Antwort sei gar nicht von mir. Ich umriss die Gründe für Fragilität und Asymmetrie (die Konkavität zu Irrtümern), ich erklärte, warum ich in der Zukunft Bücherregale vor mir sehe, die eine ganze Wand bedecken; den Apparat, den man Telefon nennt; Handwerker und dergleichen; all dem lag die Vorstellung zugrunde, dass die meisten Technologien, die jetzt fünfundzwanzig Jahre alt sind, auch noch in fünfundzwanzig Jahren existieren werden – um es noch einmal zu sagen: die meisten, nicht alle. 77 Das Fragile hingegen wird verschwunden oder jedenfalls geschwächt sein. Und was ist fragil? Das Große, Optimierte, dasjenige, was zu sehr von der Technik abhängt – zu sehr abhängt von so genannten wissenschaftlichen Methoden anstatt von erfahrungsgesättigten Heuristiken. Unternehmen, die heute riesig sind, dürften verschwunden sein, da sie grundsätzlich durch das geschwächt werden, was sie für ihre Stärke halten, nämlich ihre Größe. Sie aber ist genau der Feind dieser Art von Unternehmen, da sie sie in unverhältnismäßig großem Maß für Schwarze Schwäne anfällig macht. Stadtstaaten und kleine Unternehmen dagegen wird es immer noch, womöglich sogar in größerer Anzahl geben. Der Nationalstaat, die Banknoten emittierende Zentralbank, all diese so genannten Volkswirtschaftseinrichtungen existieren vielleicht noch nominell, ihre Macht wird aber deutlich geringer sein. Mit anderen Worten: Was in der linken Spalte der Triade steht, sollte verschwunden sein – allerdings wird es leider durch andere fragile Dinge ersetzt.
Die Propheten und ihr Verhältnis zur Gegenwart
Wer Warnungen ausspricht, die aus der Wahrnehmung von Schwachstellen resultieren, kommt der ursprünglichen Rolle eines Propheten recht nahe: Dessen Schwergewicht lag ebenfalls nicht auf Vorhersagen, sondern auf Warnungen; Unheil sagte er für den Fall voraus, dass die Menschen ihm nicht zuhörten.
Die klassische Rolle des Propheten – jedenfalls des Propheten im levantinischen Sinn – besteht nicht darin, in die Zukunft zu schauen, sondern über die Gegenwart zu sprechen. Er sagt den Menschen, was sie tun, oder – nach meiner Meinung die robustere Information – was sie unterlassen sollten. In den monotheistischen Traditionen des Vorderen Orients, in Judentum, Christentum und Islam, besteht die wichtigste Aufgabe der Propheten darin, den Monotheismus vor seinen Feinden, den Götzendienern und Heiden, in Schutz zu nehmen, die Unheil über die orientierungslose Bevölkerung zu bringen drohen. Der Prophet ist jemand, der mit dem einzigen Gott kommuniziert oder zumindest seine Absichten kennt – vor allem aber Warnungen für seine Untertanen formuliert. Der semitische nby (der Wortstamm liegt dem Wort Nevi oder im ursprünglichen Hebräisch nebi zugrunde, außerdem, mit kleineren Variationen in der Aussprache, dem aramäischen nabi’y und dem arabischen nabi ) ist ein Mensch, der mit Gott in Verbindung
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