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Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Titel: Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nassim Nicholas Taleb
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auseinandersetzt; der Patient kann also ungehindert damit fortfahren, sein Leben nach Prokrustes-Manier zu zerstören. Sehr viel muss man gar nicht tun – man sollte einfach die Medikamente weglassen, die einem der Arzt verschrieben hat, oder am besten gleich den Arzt weglassen. Von Oliver Wendell Holmes sen. stammt der Satz: »Wenn wir sämtliche Medikamente ins Meer kippen würden, wäre das eine Wohltat für die Menschen – allerdings schlecht für die Fische.« Mein Vater, ein Onkologe (der auch Forschungen in Anthropologie betrieb), erzog mich in diesem Sinne (wobei er leider seinen Maximen nicht immer gerecht wurde; aber immerhin führte er sie oft genug an).
    Was mich betrifft, so weigere ich mich, Früchte zu essen, die es nicht auch bereits in der Antike im östlichen Mittelmeerraum gegeben hat (ich spreche hier von »mir«, um deutlich zu machen, dass ich nicht dem Rest der Menschheit meinen Standpunkt überstülpen möchte). Ich mache um Früchte, die keinen alten griechischen oder hebräischen Namen tragen – also um Mangos, Papayas, ja sogar um Orangen – prinzipiell einen großen Bogen. Orangen sind wahrscheinlich das postmittelalterliche Äquivalent von Bonbons; in der Antike gab es sie in den Mittelmeerländern noch nicht. Die Portugiesen haben wahrscheinlich in Goa einen süßen Zitrusbaum entdeckt, und durch Züchtung arbeiteten sie auf immer süßere Früchte hin, ganz ähnlich wie eine heutige Süßwarenfabrik. Selbst die Äpfel, die in Supermärkten angeboten werden, sollten mit Argwohn betrachtet werden: Äpfel waren ursprünglich nicht süß, dazu wurden sie erst durch die Züchtungsanstrengungen von Lebensmittelkonzernen gemacht – die Bergäpfel meiner Kindheit waren sauer, bitter, hart und viel kleiner als die glänzenden Exemplare in amerikanischen Supermärkten, von denen es heißt, sie würden einem den Doktor ersparen.
    An Flüssigkeit nehme ich prinzipiell nur Getränke zu mir, die seit mindestens tausend Jahren konsumiert werden, sodass ihre Tauglichkeit ausreichend unter Beweis gestellt ist. Ich trinke nur Wein, Wasser und Kaffee. Keine Softdrinks. Am meisten schädliche Augenwischerei wird wohl mit Orangensaft betrieben: Armen unschuldigen Menschen drängt man ihn zum Frühstück auf mit dem von der Werbung forcierten Argument, das sei »gesund«. (Abgesehen von der Tatsache, dass die ursprünglichen Zitrusfrüchte nicht süß waren, nahmen unsere Vorfahren nie Kohlehydrate ohne große, sehr große Mengen an Ballaststoffen zu sich. Eine Orange oder einen Apfel zu essen, entspricht physiologisch nicht dem Trinken von Orangen- oder Apfelsaft.) Aus solchen Beispielen leitete ich mir die Regel ab, dass das, was gemeinhin »gesund« genannt wird, überwiegend ungesund ist, wie ja auch »soziale« Netzwerke antisozial sind und »wissens«-basierte Volkswirtschaften typischerweise ignorant.
    Meine Gesundheit hat sich spürbar verbessert, dadurch dass es mir gelingt, schädliche Reizstoffe zu entfernen: Tageszeitungen (allein schon die Erwähnung der Namen der Fragilist-Journalisten Thomas Friedman oder Paul Krugman kann meinerseits zu explosiven unerwiderten Wutanfällen führen), ein Chef, der tägliche Weg zur Arbeit und wieder zurück, Klimaanlagen (keine Heizung), Fernsehen, E-Mails von Dokumentarfilmmachern, Konjunkturprognosen, Nachrichten über den Aktienmarkt, Fitnessgeräte für »Krafttraining« und vieles mehr. 85
    Die Iatrogenik des Geldes
    Um zu sehen, wie sehr wir uns in unserem Streben nach Reichtum der Antifragilität verweigern, denke man nur daran, wie viel fröhlicher Bauarbeiter mit einem Käse-Schinken-Sandwich wirken als Geschäftsleute beim Essen in einem Drei-Sterne-Lokal. Eine Mahlzeit schmeckt unvergleichlich viel besser, wenn man sich zuvor kräftig verausgabt hat. Die Römer hatten ein eigenartiges Verhältnis zum Reichtum: Alles, was »verweichlicht« oder »verwöhnt«, hatte einen negativen Beigeschmack. Der ihnen anhaftende Ruf, dekadent gewesen zu sein, ist übertrieben (die Geschichtsschreibung hat einen Hang zum Grell-Sensationellen); Komfort war den Römern suspekt, denn sie waren sich der schädlichen Nebenwirkungen bewusst. Dasselbe gilt für die Semiten, die sich aus Wüstenstämmen und Stadtbewohnern zusammensetzten, wobei die Städter über Generationen hinweg die Sehnsucht nach ihren Wurzeln und ihrer ursprünglichen Kultur aufrechterhielten; es gibt also eine Kultur der Wüste, voller Poesie, Ritterlichkeit, Nachdenklichkeit, Anstrengung und

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