Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
Apollo hat mich gerettet, meine Ärzte versuchten, mich umzubringen – typischerweise hat in solchen Fällen der Patient sein Vermögen dem Tempel vererbt.
Und ich habe den Eindruck, dass die menschliche Natur tief in ihrem Inneren weiß, wann sie sich dem Trost der Religion überlassen darf und wann sie sich besser an die Wissenschaft wendet. 86
Wenn es ein Mittwoch ist, bin ich Veganer
Manchmal bekomme ich von Organisatoren im Zusammenhang mit einem Konferenzessen einen Fragebogen zugeschickt, in dem ich angeben soll, ob ich irgendwelche speziellen Ernährungswünsche habe; manchmal schon sechs Monate im Voraus. Früher pflegte ich zu antworten, ich würde keine Katzen, Hunde, Ratten und Menschen (nicht einmal Ökonomen) essen. Heute, nach einer gewissen individuellen Evolution, muss ich mir erst überlegen, um welchen Wochentag es geht, um zu wissen, ob ich dann Veganer bin oder riesige Steaks verzehren kann. Wie geht das? Ich konsultiere einfach den Kalender der griechisch-orthodoxen Kirche mit seinen vorgeschriebenen Fastenzeiten. Damit bringe ich Leute, die ganz naiv nach den bei TED -Konferenzen üblichen Kriterien vorgehen, in einige Verlegenheit, weil sie mich nicht ins »Paläo-Lager« oder ins »Veganer-Lager« einordnen können. (Die »Paläo«-Leute sind Fleischesser, sie orientieren sich an den Ernährungsgewohnheiten unserer Vorfahren, die angeblich vor allem sehr viel Fleisch und Fett von Tieren verzehrten; Veganer essen überhaupt keine tierischen Produkte, nicht einmal Butter.) Später werde ich zeigen, warum es ein naiver rationalistischer Fehler ist, sich ausschließlich und nicht nur phasenweise irgendeiner Kategorie zuzuordnen (es sei denn, es geschieht aus religiösen oder spirituellen Gründen).
Ich glaube an die Heuristiken der Religion und setze ihre Regeln stur um (außerdem habe ich als orthodoxer Christ ab und an die Möglichkeit zu schummeln, das ist Teil des Spiels). Eine der Funktionen der Religion besteht darin, die schädlichen Nebenwirkungen des Überflusses einzudämmen – man verliert durch Fasten seine Anspruchshaltung. Daneben gibt es aber auch noch subtilere Aspekte.
Konvexitätseffekte und vom Zufall abhängige Ernährung
Sie erinnern sich an folgende praktische Konsequenz aus der Jensen’schen Ungleichung im Zusammenhang mit dem Lungenventilator: Irregularität ist in bestimmten Bereichen nützlich, Regelmaß schädlich. In den Fällen, wo die Jensen’sche Ungleichung zutrifft, kann Irregularität ein Heilmittel sein.
Vielleicht wäre es für unsere Gesundheit am besten, wir würden immer wieder nach dem Zufallsprinzip eine Mahlzeit ausfallen lassen oder zumindest ein Gleichmaß in der Nahrungsaufnahme vermeiden. Der Irrtum, sich Nichtlinearitäten zu entziehen, wird in zweierlei Hinsicht begangen: bei der Zusammensetzung der Mahlzeiten und bei der Häufigkeit der Nahrungsaufnahme.
Zunächst zur Zusammensetzung: Es heißt, der Mensch sei ein Allesfresser, im Unterschied zu stärker spezialisierten Säugetieren wie etwa Kühen und Elefanten (die sich von Grünzeug ernähren) und Löwen (die sich von ihrer Beute ernähren, vorzugsweise von grünzeugverzehrenden Beutetieren). Die Fähigkeit, sich von allem ernähren zu können, ist entstanden durch eine immer größer werdende Vielfalt unserer Umgebung, in der die Verfügbarkeit von Nahrungsquellen nicht vorhersehbar und willkürlich war, vor allem aber: Unterschiedliche Verfügbarkeiten lösten sich ab. Spezialisierung ist die Reaktion auf eine sehr stabile Umgebung, in der es keine plötzlichen Veränderungen gibt, wohingegen die Freisetzung von Möglichkeiten die Antwort auf eine variierende Umwelt ist. Die Funktionserweiterung war eine Reaktion auf erhöhte Varietät, und zwar auf die Varietät einer bestimmten Struktur.
Unser Organismus hat eine bestimmte Eigenschaft: Die Kuh und andere Pflanzenfresser sind bei ihrer Nahrungsaufnahme Zufälligkeiten in viel geringerem Maß ausgesetzt als der Löwe. Sie essen stetig, müssen aber sehr viel Energie aufbringen, um die aufgenommenen Nährstoffe zu verstoffwechseln – mehrere Stunden pro Tag verbringen sie nur mit der Nahrungsaufnahme. (An die Langeweile, die es mit sich bringt, wenn man herumsteht und Salat isst, will ich gar nicht denken.) Der Löwe dagegen muss sich mehr auf sein Glück verlassen; zwar ist nur weniger als 20 Prozent dessen, was er erbeutet, als Nahrung geeignet, aber wenn er dann frisst, nimmt er schnell und effektiv all die Nährstoffe zu sich,
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