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Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Titel: Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nassim Nicholas Taleb
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die durch die harte, langweilige Arbeit des Beutetiers entstanden sind. Folgende Prinzipien lassen sich aus der zufallsbedingten Struktur der Umgebung ableiten: Wenn wir Pflanzenfresser sind, essen wir fortwährend; wenn wir Raubtiere sind, essen wir eher zufällig. Unsere Proteine müssen also aus statistischen Gründen zufällig aufgenommen werden.
    Wenn Sie also wie ich der Meinung sind, dass wir eine bezüglich bestimmter Nährstoffe »ausgewogene« Ernährung brauchen, dann ist es falsch, diese Ausgewogenheit bei jeder Mahlzeit einzuhalten. Angenommen, wir brauchen im Schnitt bestimmte Mengen verschiedener Nährstoffe, etwa eine bestimmte Menge an Kohlehydraten, Proteinen und Fetten. 87 Wenn man all diese Nährstoffe zusammen bei jeder Mahlzeit verzehrt wie beispielsweise in der traditionellen Form von Steak, Salat und frischen Früchten zum Dessert, ist das etwas ganz anderes, als wenn man sie einzeln, nacheinander jede für sich aufnimmt.
    Warum? Weil Mangel eine Belastung bedeutet – und wir wissen mittlerweile, was Belastungen bewirken, wenn eine ausreichend lange Erholungsphase eingeräumt wird. Auch hier kommen Konvexitätseffekte zum Tragen: Wenn man an einem Tag die dreifache Portion der täglichen Proteinmenge zu sich nimmt und an den beiden folgenden Tagen nichts, ist das für unsere nichtlinearen Stoffwechselreaktionen physiologisch etwas anderes als die »stetige«, moderate Proteinaufnahme. Ersteres müsste sich vorteilhaft auswirken – jedenfalls sind wir so angelegt.
    Ich spekuliere – eigentlich ist es mehr als eine Spekulation: Ich bin überzeugt (ein unvermeidbares Ergebnis von Nichtlinearität), dass wir, was die Zufälligkeit der Nahrungsaufnahme und -zusammensetzung angeht, antifragil sind, jedenfalls in einem bestimmten Ausmaß, über eine gewisse Anzahl von Tagen.
    Eine eklatante Verkennung des Konvexitätseffekts ist die Theorie von den Vorteilen der so genannten kretischen (oder Mittelmeer-)Diät, die bei den Gebildeten in den USA zu einer Veränderung der Essgewohnheiten geführt hat: Man verzehrte nicht mehr Steak und Kartoffeln, sondern gegrillten Fisch mit Salat und Feta. Wie kam es dazu? Irgendjemandem war aufgefallen, dass die Kreter eine hohe Lebenserwartung haben, also untersuchte er, woraus sich ihre Mahlzeiten zusammensetzten, und zog dann den naiven Schluss, sie würden wegen der Lebensmittel, die sie zu sich nehmen, länger leben. Das mag so sein, doch der Effekt zweiter Ordnung (die Variationen der Nahrungsaufnahme) könnte dominant sein, ein Umstand, der den mechanistisch vorgehenden Forschern vollkommen entgangen war. Tatsächlich dauerte es einige Zeit, bis man Folgendes bemerkte: Die griechisch-orthodoxe Kirche schreibt fast zweihundert Fastentage pro Jahr vor (wie konsequent die Vorschriften umgesetzt werden, ist abhängig von lokalen Gepflogenheiten), und es handelt sich dabei um strenges, sprich anstrengendes Fasten.
    Wie anstrengend es ist, merke ich zur Zeit am eigenen Leib. Ich verfasse diese Zeilen während der orthodoxen Fastenzeit, vierzig Tage, an denen fast keine tierischen Produkte verzehrt werden, keine Süßigkeiten, und einige Pedanten lassen sogar das Olivenöl weg. Es gibt unterschiedliche Strengegrade, ich versuche, mich an ein mittleres Level zu halten; das Leben ist nicht sehr angenehm, und das soll es auch gar nicht sein. Ich habe gerade ein langes Wochenende in Amioun im griechisch-orthodox geprägten Koura-Tal verbracht, dem Ort im Nordlibanon, aus dem meine Vorfahren stammen. Mit viel Fantasie wurden dort im Lauf der Jahrhunderte exzellente Fastenspeisen entwickelt: Levantinisches Kibbeh mit Kräutern und Bohnen anstelle von Fleisch, Fleischklößchen nach Matzoh-Art aus kleinen braunen Brotbällchen in Linsensuppe. Bemerkenswerterweise ist zwar Fisch an den meisten Tagen nicht erlaubt, Schalentiere aber sind zugelassen, wahrscheinlich weil sie nicht als Luxusessen galten. Der Ausgleich für den Ausfall bestimmter Nährstoffe aus meinen täglichen Mahlzeiten wird dann schubweise erfolgen. An den Tagen, an denen es erlaubt ist, gleiche ich meinen Mangel an der Substanz, die die Forscher (momentan) Protein nennen, mit Fisch aus, und natürlich werde ich an Ostern über den Lammbraten herfallen und anschließend eine Zeitlang unverhältnismäßig große Mengen fettes rotes Fleisch essen. Ich träume von kurzgebratenen Steaks, die in den von Fat Tony unterstützten Restaurants in schamlos riesigen Größen auf den Tisch gebracht werden.
    Ein

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