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Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Titel: Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nassim Nicholas Taleb
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antifragiler Effekt der Fastenbelastung besteht darin, dass das entbehrte Essen besser schmeckt und regelrechte Euphorie auslösen kann, wenn es wieder genossen wird. Fastenbrechen fühlt sich an wie das genaue Gegenteil eines Katers. 88
    Wie man sich selbst verzehrt
    Wie kommt es eigentlich, dass man zwar die Anstrengung eines Trainings als gesund und nützlich empfindet, diesen Zusammenhang aber nicht auf die Nahrungsaufnahme überträgt? Aber die Wissenschaft hat immerhin entdeckt, welche positiven Auswirkungen der teilweise oder vollständige Entzug von Nahrung hat. Es ist erwiesen, dass uns der Stress der Einschränkung aufmerksamer und fitter macht.
    Ein Blick in biologische Studien erlaubt uns zwar nicht zu verallgemeinern oder sie im rationalistischen Sinn anzuwenden, aber doch, eine bestimmte Reaktion des Menschen auf Hunger zu verifizieren: Durch Nahrungsentzug werden spezifische biologische Mechanismen aktiviert. Und Experimente mit Kohorten belegen den positiven Effekt von Hunger – oder des Verzichts auf eine bestimmte Gruppe von Nahrungsmitteln – auf den menschlichen Körper. Die Wissenschaftler arbeiten neuerdings mit dem Mechanismus der Autophagie (das bedeutet, dass sich ein Organismus selbst aufisst). Wenn keine Nahrungsmittelzufuhr von außen mehr erfolgt, so die Theorie, dann fangen die Zellen an, sich selbst zu verzehren beziehungsweise Proteine aufzubrechen und Aminosäuren neu zu kombinieren, um Material zum Aufbau neuer Zellen bereitzustellen. Einige Wissenschaftler nehmen (derzeit) an, dass der »Staubsaugereffekt« der Autophagie der Schlüssel zur Langlebigkeit ist – wobei meine Vorstellung von natürlichen Prozessen gegen ihre Theorien immun ist: Wie ich zeigen werde, hat gelegentliches Hungern einen gewissen gesundheitlichen Nutzen, und damit hat es sich.
    Antifragilität als Reaktion auf Hunger ist unterschätzt worden. Man hat den Leuten empfohlen, ordentlich zu frühstücken, damit sie den Strapazen des Tages gewachsen sind (siehe den deutschen Spruch: »Frühstücke wie ein Kaiser …«). Und dabei handelt es sich nicht einmal um eine neue Theorie von empirieblinden modernen Ernährungstheoretikern – ich war völlig überrascht von einer Stelle in Stendhals monumentalem Roman Rot und Schwarz , in der man den Protagonisten Julien Sorel auffordert: »Die heute anstehende Arbeit ist ausgedehnt und hart, wir wollen uns also mit einem Frühstück stärken « (die französische Sprache benutzte damals für das Frühstück den Ausdruck »das erste Mittagessen«). Die Vorstellung vom Frühstück als einer Hauptmahlzeit mit Getreideprodukten und anderen Speisen erweist sich als zunehmend schädlich – ich frage mich, warum es so lange dauerte, bis man darauf kam, dass eine so unnatürliche Vorstellung einem praktischen Test unterzogen werden muss; und Tests zeigen, dass ein Frühstück, das man sich nicht zuvor durch Arbeit verdient hat, schädlich ist oder zumindest keinen positiven Wert hat.
    Wir sind, wie gesagt, nicht darauf ausgelegt, Essen von einer Zulieferinstanz vorgesetzt zu bekommen; in der Natur mussten wir Einiges an Energie aufbringen, um an Nahrungsmittel zu kommen. Löwen jagen, um zu essen, sie nehmen nicht erst eine Mahlzeit zu sich und jagen dann zum Zeitvertreib. Wenn ein Mensch Nahrung bekommt, bevor er Energie aufwendet, bringt das mit Sicherheit den biologischen Signalisierungsprozess durcheinander. Es gibt ausgedehnte Hinweise darauf, dass periodischer (und nur periodischer) Nahrungsentzug bei Organismen in Bezug auf viele Funktionen positive Auswirkungen hat – Valter Longo stellte beispielsweise fest, dass Gefangene in Konzentrationslagern in der ersten Phase des Nahrungsentzugs weniger häufig krank wurden und erst später zusammenbrachen. In Laborexperimenten fand er anschließend heraus, dass Mäuse in der Anfangsphase des Hungerns ohne sichtbare Nebenwirkungen hohe Dosen Chemotherapie vertragen können. Wissenschaftler arbeiten mit der Narration, dass Hungern einem Gen zum Ausdruck verhilft, das ein Protein namens SIRT , SIRT 1 oder Sirtuin kodiert, welches Langlebigkeit und andere Effekte zur Folge hat. Die Antifragilität des Menschen drückt sich darin aus, dass bestimmte Gene als Reaktion auf Hunger heraufreguliert werden.
    Auch hier gilt wieder: Religionen mit ihrer Sitte des rituellen Fastens halten mehr Antworten bereit, als diejenigen vermuten, die sie zu wörtlich nehmen. Rituelles Fasten versucht letztlich, durch die Einbringung von

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