Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)

Titel: Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nassim Nicholas Taleb
Vom Netzwerk:
konnten: Alles war privat (Senecas oben schon erwähntes Buch De beneficiis handelt von genau den Verpflichtungen, die solche Verhältnisse mit sich brachten). Mit den anderen reichen Gutsherren hatte man nur wenig zu tun, so wie sich Mafiabosse nicht mit anderen Bossen, sondern eher mit den eigenen Anhängern zusammentun. Im Großen und Ganzen war das der Lebensstil meines Großvaters und meines Urgroßvaters – sie waren politisch aktive Gutsbesitzer; Macht war untrennbar verbunden mit einer Gruppe von Abhängigen. Von den ländlichen Grundbesitzern erwartete man, dass sie von Zeit zu Zeit ein »offenes Haus« boten, eine frei zugängliche Tafel, zu der die Leute kommen und sich von den Früchten des Reichtums selbst bedienen konnten. Ganz anders das Leben am Hof, das zu Korruption führt – der Edelmann, der aus der Provinz kommt, wird am Hof erst einmal in eine vorgegebene Struktur gepresst; er sieht sich mit extravaganten, geistreicheren Leuten konfrontiert und gerät unter den Druck, sein Selbstbewusstsein abstützen zu müssen. Menschen, die in den Städten ihr Ansehen verlieren würden, bewahren es sich auf dem Land.
    Sie sollten wirklich keinem trauen, der sich in einer Tretmühlen-Situation befindet.
    Die Profis und das Kollektiv
    Es ist eine Tatsache, dass man von seinem Beruf nach einer Phase der Indoktrination schnell so weit versklavt werden kann, dass die Meinungen, die man zu einem bestimmten Thema ausbildet, nur noch dem eigenen Standpunkt dienen, für die Gesamtheit also von keinem Nutzen mehr sind. Aus diesem Grund hatten die Griechen solch ein heikles Verhältnis zu den Berufstätigen.
    Eine meiner ersten Stellen hatte ich bei einer Wall-Street-Firma. Nach wenigen Monaten rief uns der Direktor zusammen und teilte uns mit, wir hätten mit der Zahlung einer »empfohlenen« Summe, einem bestimmten Teil unseres Einkommens, zu den Kampagnen von einigen Politikern beizutragen. Diese Politiker, so hieß es, seien »gut«. »Gut« hieß gut für unseren Job als Investmentbanker, denn diese Politiker wollten sich für Änderungen in der Rechtsprechung einsetzen, die diesen Geschäftszweig schützen sollten. Wenn ich das getan hätte, hätte ich die moralische Berechtigung verloren, eine politische Meinung »zum Wohl der Allgemeinheit« zu äußern.
    In einer Geschichte, die im Lauf der Jahrhunderte immer wieder kommentiert wurde, tadelte der Athener Demades einen Mann, der mit Bestattungen sein Geld verdiente: Dieser könne nur dadurch Gewinne erzielen, dass viele Menschen sterben. Montaigne griff ein Argument wieder auf, das bereits Seneca in De beneficiis gegen diese Meinung vorgebracht hatte: Dann hätte eigentlich jeder, der in irgendeinem Berufsstand tätig ist, einen solchen Tadel verdient. Der Kaufmann lebt davon, dass er die Jugend zur Prasserei verführt; der Bauer lebt davon, dass das Getreide teuer ist; der Architekt lebt vom Zerfall von Gebäuden, und Rechtsvertreter leben von den Klagen und Streitigkeiten der Menschen. Ein Arzt kann sich nicht einmal bei seinen Angehörigen vorbehaltlos über deren Gesundheit freuen, ein Soldat hat kein Interesse am Frieden in seinem Land und so weiter. Und schlimmer noch – wenn wir die inneren, privaten Gedanken und Motivationen der Menschen einsehen könnten, müssten wir feststellen, dass ihre Wünsche und Hoffnungen fast immer irgendeinem ihrer Mitmenschen zum Nachteil gereichen.
    Nun waren Montaigne und Seneca allerdings ein wenig zu nachsichtig gegenüber den Eigeninteressen; ein zentrales Element übersahen sie völlig. Womit sie sicher recht hatten: Die Wirtschaft hängt nicht notwendigerweise von altruistischen Motiven ab, und die Gesamtheit funktioniert anders als das Individuum. Bemerkenswerterweise lebte Seneca ungefähr achtzehn, Montaigne ungefähr drei Jahrhunderte vor Adam Smith, wir sollten also von ihrem Denken recht beeindruckt sein, ohne allerdings eine gewisse Kritik an der fundamentalen Unredlichkeit des Menschen hintanzustellen. Wir wissen seit Adam Smith, dass das Kollektiv nicht auf die Menschlichkeit der Individuen angewiesen ist, da das Eigeninteresse durchaus ein Wachstumsfaktor sein kann. Aber all das macht die Menschen nicht weniger unglaubwürdig in ihren persönlichen Meinungen hinsichtlich der Gesamtheit. Denn sie setzen sozusagen die Haut anderer aufs Spiel.
    Was Montaigne und Seneca außer der Frage, wessen Haut man aufs Spiel setzt, vernachlässigten, war der Umstand, dass man bei öffentlichen Angelegenheiten eine

Weitere Kostenlose Bücher