Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
Welt vor dem Bösen zu retten (ich hatte ihm gerade meine Meinung bezüglich des Umstands mitgeteilt, dass Banker auf Kosten der Steuerzahler Risiken eingehen). Hier haben wir ein Paradebeispiel dafür, wie Ämter im Dienst der Öffentlichkeit dazu benutzt werden, um irgendwann später legal von der Öffentlichkeit zu profitieren.
Ich hoffe, Sie sehen das Problem in seiner ganzen Schlichtheit: Ehemalige Beamte mit Aufsichtsfunktionen, die von den Bürgern dafür bezahlt werden, dass sie ihre Interessen wahrnehmen, können das Expertenwissen und die Kontakte, die sich aufgrund ihrer beruflichen Stellung ergeben, nutzen, um von den Schlupflöchern des Systems zu profitieren, indem sie vom öffentlichen Dienst in die Privatwirtschaft überwechseln – in Anwaltskanzleien oder Ähnliches.
Und nun denken Sie noch einen Schritt weiter: Je komplexer die Verordnungen sind, je bürokratisierter das Netzwerk, desto leichter kann ein Insider, der die Schleifen und Schlupflöcher aufgrund seiner Position in der jeweiligen Behörde genau kennt, später davon profitieren. Seine Insider-Überlegenheit wäre eine konvexe Funktion seines differenzierten Wissens. Und dieses Privileg, diese Asymmetrie geht auf die Kosten anderer. (Das Phänomen ist im Wirtschaftsleben übrigens omnipräsent; beispielsweise stellte die Autofirma Toyota ehemalige Aufsichtsbeamte ein und benutzte ihr »Expertenwissen«, um die Untersuchungen der Schwachstellen an den eigenen Fahrzeugen in ihrem Sinn zu beeinflussen.)
Nicht dass wir damit schon am Ende wären – es kommt noch schlimmer. Blinder und der Dekan der Columbia Business School an der Columbia University verfassten einen Kommentar, in dem sie sich kritisch zur Erhöhung der Versicherungsobergrenze für Einzelpersonen durch die Regierung äußerten. Mit dem Artikel wurde also klipp und klar zum Ausdruck gebracht, dass die Öffentlichkeit nicht in den Genuss des unbegrenzten Versicherungsschutzes kommen soll, den Blinder seinen Kunden verschaffte.
Dazu noch einige Bemerkungen.
Erstens: Je komplizierter die Vorschriften sind, desto einfacher können sie von Insidern ausgenutzt (arbitriert) werden. Dieser Punkt ist ein weiteres Argument für den Vorteil von Heuristiken. 2300 Seiten Vorschriften – ein Textkorpus, das ich durch Hammurapis Regel ersetzen kann – ist eine Goldmine für ehemalige Aufsichtsbeamte. Es gibt für einen Beamten keinen besseren Leistungsanreiz als ein komplexes Regelwerk. Auch hier gilt: Insider sind die Feinde der Regel Weniger ist mehr .
Zweitens: Der Unterschied zwischen dem Geist und den Buchstaben eines Regelwerks ist in einem komplexen System schwerer aufzudecken. Fachlich gesprochen: Komplexe Umgebungen mit Nichtlinearitäten sind leichter auszutricksen als lineare Umgebungen mit nur einer geringen Anzahl an Variablen. Dasselbe gilt für die Kluft zwischen dem Legalen und dem Ethischen.
Drittens: In afrikanischen Ländern bekommen Regierungsbeamte ganz unverhohlen Bestechungsgelder. In den Vereinigten Staaten gibt es das implizite, nie laut geäußerte Versprechen, Regierungsbeamte würden später einen Job bei einer Bank bekommen mit einer Pfründe von sagen wir fünf Millionen pro Jahr, wenn sie sich gegenüber der Industrie wohlwollend zeigen. Und die »Vorschriften«, die für solche Beschäftigungsverhältnisse gelten, können problemlos umgangen werden.
Was mich am Alan-Blinder-Problem am meisten aufregte, waren die Reaktionen derer, mit denen ich darüber sprach: Es wurde allgemein als normal empfunden, dass ein ehemaliger Beamter aufgrund seines früheren Postens – auf unsere Kosten – »Geld machen« will. Man hält mir die Frage entgegen: Wer hat denn schon etwas dagegen, Geld zu machen?
Kasuistik und Optionalität
Man kann im Nachhinein immer ein Argument oder einen moralischen Grund finden, um eine bestimmte Meinung zu legitimieren. Ein brisanter Punkt: Man sollte, ähnlich wie beim Rosinenpicken, eine moralische Regel aufstellen, bevor man etwas tut, nicht erst danach. Handeln Sie nicht so, dass Sie hinterher die Darstellung Ihrer Handlung zu sehr verbiegen müssen – lange Zeit war »Kasuistik«, die Kunst der Darstellung von Entscheidungsnuancen, eben genau das: eine nachträgliche Anpassung von Darstellungen.
Zunächst möchte ich definieren, was ich unter einer unaufrichtigen Aussage verstehe. Es handelt sich dabei einfach um eine Aussage, bei der eigennützige Interessen als förderlich für das Allgemeinwohl dargestellt werden –
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