Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
haben, dann wäre es fast unmöglich, darin nicht irgendeine signifikante – sagen wir 30-prozentige – Korrelation zu finden, die aber völlig zufällig wäre. Es gibt Techniken, mit denen das Rosinenpicken kontrolliert werden kann (unter anderem die so genannte Bonferroni-Korrektur), aber nicht einmal sie können die Übeltäter dingfest machen – genauso wenig wie Regulierungsmaßnahmen die Insider davon abhalten, das System abzuzocken. Das erklärt, warum in den zwölf oder mehr Jahren, die seit der Entzifferung des menschlichen Genoms vergangen sind, noch nichts von Bedeutung gefunden wurde. Ich sage nicht, dass die Daten überhaupt keine Information enthalten: Nur steckt die Nadel eben leider in einem Heuhaufen.
Sogar Experimente können durch Verzerrungen beeinträchtigt werden: Der Forscher ist motiviert, das Experiment auszuwählen, das mit dem übereinstimmt, was er sucht, und die fehlgeschlagenen Versuche unter den Tisch fallen zu lassen. Es steht ihm auch frei, eine Hypothese in Anlehnung an die Resultate des Experiments zu formulieren, also seine Hypothese an das Experiment anzupassen. Hier ist die Verzerrung allerdings kleiner als bei den Beobachtungsstudien.
Dieser Effekt, dass man von Daten in die Irre geführt wird, beschleunigt sich immer mehr. Es gibt das höchst unerfreuliche Phänomen der »Big Data«, bei dem die Forschung das Rosinenpicken im industriellen Maßstab betreibt. Wir haben heute zu viele Variablen (und zu wenig Daten pro Variable), und Scheinkorrelationen wachsen sehr, sehr viel schneller als echte Information, da Rauschen konvex und Information konkav ist.
Immer häufiger können Daten Wissen lediglich nach der Via-Negativa -Methode vermitteln – man sollte sie dafür einsetzen, etwas zu widerlegen, nicht aber, um etwas zu bestätigen.
Die Tragik liegt darin, dass man kaum Fördermittel bekommen wird, um bestehende Experimente zu wiederholen und zu beanstanden. Und selbst wenn es Geld dafür gäbe, fände sich schwerlich jemand, der bereit wäre, das auch tatsächlich zu tun: Durch die Wiederholung von Studien macht man sich keinen Namen. So bleiben wir geschlagen vom Misstrauen gegenüber empirischen Resultaten zurück – abgesehen von denen, die negativ sind. Ich komme noch einmal auf meine romantische Idee vom Amateur, dem teetrinkenden englischen Geistlichen zurück: Profiforscher wetteifern darum, Beziehungen zu »finden«. Wissenschaft aber darf kein Wettbewerb sein; sie muss ohne Rankings auskommen – wir sehen ja, wie ein solches System letztlich zusammenbrechen wird. Wissen muss vom Agency-Problem unberührt bleiben.
Die Tyrannei des Kollektivs
Fehler, die von einem Kollektiv und nicht von einem Individuum begangen werden, sind das typische Kennzeichen organisierten Wissens – und zugleich sein triftigstes Gegenargument. Die Begründung »Weil alle es so machen« oder »So machen es die anderen« ist überall zu hören. Man sollte das nicht auf die leichte Schulter nehmen: Menschen, die etwas selbst nicht tun würden, weil sie es für töricht halten, lassen sich als Teil einer Gruppe dazu verleiten. Und so neigt auch die akademische Bildung in ihrer institutionellen Struktur dazu, gegen Wissenschaftlichkeit zu verstoßen.
Ein Doktorand an der University of Massachusetts, Chris S., hat mir einmal anvertraut, dass er meine Idee von der »Fat-Tail-Verteilung« und meine Skepsis gegenüber den üblichen Methoden des Risikomanagements zwar plausibel fände, aber damit könne er keine Stelle an der Universität bekommen. »Das schaffe ich nur mit dem, was alle lehren und in ihren Aufsätzen verbreiten«, meinte er. Ein anderer Student erklärte mir, er strebe eine Anstellung an einer renommierten Universität an, damit er als Gutachter viel Geld verdienen könne – sie würden mir meine Ideen zum robusten Risikomanagement nicht abnehmen, weil »alle mit den gleichen Lehrbüchern arbeiten«. Ich wurde sogar irgendwann von einer Universität angefragt, ob ich bereit wäre, Standardrisikomethoden zu unterrichten, die ich für reine Scharlatanerie halte (ich lehnte ab). Muss ich als Professor meinen Studenten zu einem Job verhelfen, der zu Lasten der Gesellschaft geht, oder meinen Pflichten als Bürger nachkommen? Sollte Ersteres der Fall sein, dann haben die wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten und Business Schools ein ernsthaftes moralisches Problem. Denn die Inhalte finden sich überall, und deshalb sind die Wirtschaftswissenschaften auch noch nicht
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