Antifragilität: Anleitung für eine Welt, die wir nicht verstehen (German Edition)
(Fukushima)
Ausgehend von der Feststellung, dass eine Schätzung Fehler impliziert , erweitern wir die Logik: Fehler sind mit Fehlern behaftet, die ihrerseits Fehler aufweisen. Berücksichtigt man diesen Effekt, dann führt das zu einer Zunahme sämtlicher kleiner Wahrscheinlichkeiten, bis man bei Fat Tails und Potenzgesetzeffekten (sogar bei der so genannten unendlichen Varianz) landet, wenn höhere Ordnungen der Ungewissheit sehr groß sind. Selbst wenn man das Gauß’sche Modell mit σ als der Standardabweichung und einem Proportionalfehler a( 1 ) zugrunde legt, hat a( 1 ) eine Fehlerrate von a( 2 ) und so weiter. Es kommt dann auf die Fehlerrate höherer Ordnung a(n) bezogen auf a(n- 1 ) an; wenn deren Verhältnis konstant ist, nähern wir uns einer Verteilung mit extrem dicken Tails an. Wenn die proportionalen Fehler abnehmen, hat man es immer noch mit Fat Tails zu tun. In sämtlichen Fällen ist Fehlerhaftigkeit per se nicht gut für kleine Wahrscheinlichkeiten.
Fatalerweise ist es fast unmöglich, den Menschen zu vermitteln, dass jede Messung fehlerbehaftet ist – der »Zwischenfall« in Fukushima, von dem man annahm, er würde nur einmal in einer Million Jahren vorkommen, verwandelt sich zu einem Ereignis, das einmal in dreißig Jahren auftritt, wenn man die unterschiedlichen Ungewissheitsebenen adäquat berücksichtigt.
95 Der Unterschied zwischen den beiden Seiten der Jensen’schen Ungleichung entspricht der Bregman-Divergenz, einer Vorstellung aus der Informationstheorie. Briys, Magdalou und Nock (2012).
96 Das ist zudem ein Hinweis auf die Mängel der Vorstellung der »Knight’schen Unsicherheit«, denn sämtliche Tails sind bereits unterhalb der geringsten Störung unsicher, mit schwerwiegenden Folgen im Bereich der Fat Tails, also für das gesamte Wirtschaftsleben.
Anmerkungen, nachgetragene Ideen,
weiterführende Lektüre
Es folgen Hinweise zu weiterführender Lektüre sowie Einfälle aus der Zeit nach der Fertigstellung des Buchs, etwa die Frage, ob Gott von den Theologen als robust oder antifragil verstanden wird; oder die Geschichte der Messverfahren als einem Dummkopf-Problem im Wahrscheinlichkeitsbereich. Was die weiterführende Lektüre angeht, sehe ich davon ab, Texte, die ich in früheren Büchern angeführt habe, hier nochmals zu zitieren; das gilt vor allem für diejenigen zum philosophischen Problem der Induktion, zu Schwarzer-Schwan-Problemen und zur Psychologie der Ungewissheit. Es ist mir gelungen, ein bestimmtes Maß an mathematischem Material in den Text zu schmuggeln, ohne dass Alexis K., mein Londoner Lektor, mich erwischt hätte (vor allem bei meiner Definition von Fragilität in den Anmerkungen zu Buch V und meiner kurz gefassten Ableitung des Satzes »Small is beautiful«). Hingewiesen sei noch auf die komplexeren theoretischen Erörterungen, die auf meiner Homepage http://www.fooledbyrandomness.com zugänglich sind.
Abgeschiedenheit: Seit Fertigstellung des Schwarzen Schwans habe ich 1150 Tage im wohltuenden Zustand physischer Abgeschiedenheit verbracht, also über dreihundert Tage pro Jahr mit minimalem Kontakt zur Außenwelt – dazu kommen zwanzig Jahre, in denen ich über das Problem von Nichtlinearitäten und nichtlineare Belastungen nachgedacht habe. Das hatte zur Folge, dass ich keine Geduld mehr aufbringe für institutionelles, kosmetisches Wissen. Wissenschaft und Wissen bestehen darin, ein überzeugendes, in die Tiefe gehendes, schlüssiges Argument bis zum Ende durchzudenken, nicht aber in naivem ( Via Positiva- ) Empirismus oder inhaltsleerem Gerede, weshalb ich die journalistische, stark überstrapazierte Allerweltsidee von »Literaturangaben« ablehne – ich spreche stattdessen von »weiterführender Lektüre«. Meine Befunde sollten nicht von einem einzelnen Aufsatz oder Forschungsbeitrag abhängen und tun das auch nicht, abgesehen lediglich von den entlarvenden Erkenntnissen nach der Via Negativa- Methode – diese dienen der Veranschaulichung.
Scharlatane : In dem Aufsatz über den »Vierten Quadranten«, der im International Journal of Forecasting veröffentlicht wurde (er war auch Teil der auf meiner Homepage veröffentlichten Hintergrunddokumente für den Schwarzen Schwan ), habe ich unter Hinzuziehung sämtlicher zugänglicher ökonomischer Daten empirisch nachgewiesen, dass Fat Tails schwerwiegend sind, gleichzeitig aber nicht beseitigt werden können – daher funktioniert auch keine der Quadrierungsmethoden mit sozio-ökonomischen Variablen:
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